Mit der documenta 5 vollzog sich eine Wende in der Kunstpräsentation
Keine zweite documenta wandelte sich im Bild der Öffentlichkeit so stark wie die, die der Schweizer Harald Szeemann 1972 organisierte. Gleich mehrere Gründe gab es dafür. Der wohl wichtigste war, dass die herkömmliche Vorstellung von Kunst nicht mehr funktionierte. Es ging nicht nur um Bilder, Objekte und Räume, sondern plötzlich wurden auch Aktionen und Ereignisse, Fotografien und Videos, Steinkreise und Diskussionsräume als Kunstwerke vorgestellt. Nur wenige Besucher waren darauf vorbereitet.
Der Teil der Besucher und der Kritik, der sich immer noch nicht mit der Moderne hatte versöhnen lassen, unternahm 1972 einen letzten Aufstand gegen die schrankenlose Erweiterung des Kunstbegriffs. Aber auch die Kritiker, die Parteigänger der Moderne waren, hatten Mühe, sich in dem vermeintlichen Chaos der Bildwelten, zwischen den religiös anmutenden Opferfeiern eines Hermann Nitsch und den Agitprop-Bildern eines Jörg Immendorff, zurecht zu finden.
Im Zentrum stand am Ende doch die Kunst. Doch ihre Ausdrucksformen hätten gegensätzlicher nicht sein können: Fotorealistische Malerei und fast lebensechte menschliche Skulpturen, Joseph Beuys’ „Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ und der Singsang eines Fritz Schwegler, der im Stil der Bänkellieder Texte zu Bildtafeln vortrug, sowie der Steinkreis von Richard Long und das Luftschiff von Panamarenko. Um diesen Kern der Ausstellung hatten Szeemann und sein Team in enzyklopädischer Weise Abteilungen mit Bildwelten gruppiert, die nur begrenzt mit Kunst zu tun hatten.
Heute gilt die documenta 5 als die Wendemarke in der Kasseler Ausstellungsgeschichte. Sie öffnete das Tor zur Kunst des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. Die Nachfolgeausstellungen bis zur documenta IX von Jan Hoet waren durch sie geprägt. Nicht umsonst wählte das documenta Archiv Harald Szeemanns Ausstellung aus, um an ihrem Beispiel in einer Ausstellung („Wiedervorlage d5“) im Jahre 2001 zu demonstrieren, was ein Archiv zur Aufarbeitung der documenta-Geschichte zu leisten vermag.
Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, welche Leistungen die documenta 5 vollbracht hatte. Der Blick auf ihre Pioniertat war auch deshalb getrübt, weil das Defizit in Höhe von 800.000 Mark Szeemann persönlich angelastet werden sollte. Erst nachdem die Ausstellungs- und Museumsleiter angedroht hatten, nie wieder ein Ausstellungsprojekt in Kassel zu unterstützen, rückten die Verantwortlichen von Regressforderungen ab.
Aus Kasseler Sicht war die documenta 5 auch mit der schmerzlichen Erfahrung verbunden, dass sich die Ausstellung, die 1955 aus dem Kreise ihrer Bürger geschaffen worden war und an deren Spitze 13 Jahre lang Arnold Bode gestanden hatte, verselbständigte und internationalisierte. Zum ersten Mal liefen die Planungsfäden nicht in Kassel, sondern im fernen Bern zusammen. Und Arnold Bode, der sich nach den Erfahrungen von 1968 vom documenta-Rat als Leitungsgremium verabschiedet und zusammen mit anderen als Generalsekretär vorgeschlagen hatte, musste auf einmal realisieren, dass er und seine Kasseler Kollegen keine Rolle mehr spielten. Er war als Galionsfigur noch dabei, er sorgte auch dafür, dass Edward Kienholz’ Environment „Five Car Stud“ in einem Zelt neben der Neuen Galerie gezeigt werden konnte, doch es war die erste documenta ohne ihn