Das globale Netz ist geknüpft

Roger M. Buergel ging bei der documenta 12 ungewohnte Wege

Es war geradezu unheimlich, wie erwartungs- und hoffnungsvoll die Kunstkritik in den großen deutschen Zeitungen gestimmt war. Von einer bevorstehenden Revolution war die Rede und von einem Versuch, mit der Rückbesinnung auf Arnold Bode einen Neuanfang zu wagen. Ausführliche und dazu positive Vorausberichte ließen die Erwartungen wachsen. Dergleichen hatte es in der documenta-Geschichte noch nicht gegeben, zumal der in Wien lebende deutsche Kritiker und Kurator Roger M. Buergel bei seiner Berufung den meisten unbekannt war und er noch keine große Ausstellung vorzuweisen hatte.

Fast zwangsläufig kam es mit der Eröffnung zum Stimmungsumschwung. Die einen wollten es den euphorischen Vordenkern heimzahlen, die anderen bekamen offenbar Angst vor der eigenen Courage. Also rechneten viele Kritiker mit der documenta 12 so scharf ab, dass einige von ihnen die Zukunft der documenta überhaupt in Frage stellten.

Zum beliebtesten Ansatzpunkt für die heftige Kritik wurde der Aue-Pavillon auf der Karlswiese, den Roger Buergel als Kristallpalast angekündigt hatte und der nun durch Abdeckungen und Klimaanlagen zu einem normalen Gewächshaus geworden war. Aber auch die Tatsache, dass das Mohnfeld zur Eröffnung nicht blühte und die Reisterrassen unterhalb von Schloss Wilhelmshöhe ein Torso blieben, war ein willkommener Anlass für eine Generalschelte.

Die meisten Kritiker bekamen denn auch nicht mit, dass vier Wochen später dank des blühenden Mohnfeldes der Friedrichsplatz erstmals in ein geschlossenes Bild verwandelt worden war. Und auch die wenigsten registrierten, wie gut die Ausstellung im viel gescholtenen Aue-Pavillon funktionierte und wie dankbar die Besuchergruppen für die großzügig geschnittenen Räume und die Ruhezonen waren, in denen historische chinesische Stühle, die der Künstler Ai Weiwei nach Kassel gebracht hatte, zum Sitzen einluden. Überhaupt stand das Publikumsecho im Gegensatz zu der zeitweise harschen professionellen Kritik.

Roger Buergel, der zusammen mit seiner Frau Ruth Noack als Kuratorin die Ausstellung organisierte, setzte konsequent den Weg fort, den Catherine David und Okwui Enwezor eingeschlagen hatten. Aber noch mehr als zehn Jahre zuvor Catherine David blickten Buergel und Noack zurück. Zum einen wollten sie zeigen, wie stark sich manche Formprinzipien durch Jahrhunderte erhielten (Migration der Formen), und zum anderen führten sie vor, dass die Avantgarde der 60er-Jahre viel breiter und viel weiblicher gewesen war, als wir bisher glaubten. Einige der Arbeiten aus der Zeit vor mehr als 40 Jahren waren aufregender als manches aktuelle Werk.

Buergel hatte drei Leitfragen formuliert: Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Was tun? Diese Leitmotive bestimmten nicht nur das Denken der Organisatoren. Vielmehr ließ das documenta-Team diese Fragen weltweit diskutieren. Dieses Ziel erreichte Buergel in Kooperation mit seinem Freund und Kollegen Georg Schöllhammer (von der Zeitschrift „Springerin“) durch ein internationales Zeitschriftenprojekt, an dem rund 90 Magazine beteiligt waren. Durch dieses Projekt wurde für die documenta erstmals das globale Netz umfassend geknüpft. Und dank dieser Vernetzung konnte das Team auch in unbekanntere Kunstregionen vorstoßen.

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