Die Ausstellung als fünfte Plattform

Die documenta 11 zog einen Schlussstrich unter die Kunstbetrachtung aus europäisch-atlantischer Sicht

Die documenta war als eine deutsche Ausstellung aus zuerst europäischer und dann nordatlantischer Perspektive begründet worden. Daran änderte sich grundsätzlich nichts, als 1972 der Schweizer Harald Szeemann und 1982 der Niederländer Rudi Fuchs mit der Ausstellungsleitung beauftragt worden waren. Selbst 1992, als der Belgier Jan Hoet documenta-Leiter war, erfolgte zwar eine gewisse Öffnung zu den anderen Kontinenten, doch gab es keinen Perspektivwechsel. Erst Catherine David bereitete 1997 eine Blickänderung vor, die dann 2002 gefestigt wurde.

Die Berufung des Afroamerikaners Okwui Enwezor zum documenta-Leiter hatte den erklärten Willen, die Kunst der Welt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, zum Ausdruck gebracht. Schließlich hatte Enwezor 1997 die Johannesburg-Biennale geleitet. Außerdem sammelte er ein Kuratorenteam um sich, das für eine globale Betrachtungsweise stand.

Wie sehr Enwezor und sein Team global dachten, machten sie in der Verlaufphase der documenta deutlich: Ab 15. März 2001 veranstalteten sie in Wien und Berlin, Neu Delhi, St. Lucia und Lagos Diskussionsforen zu politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Fragen. Okwui Enwezor begriff diese vier Foren, die er Plattformen nannte, als Teil der Ausstellung. Dementsprechend galt die eigentliche Ausstellung in Kassel als Plattform 5.

Nachdem viele Besucher die documenta X als kopf- und theorielastig eingestuft hatten, fürchteten sie mit Blick auf die Diskussions-Plattformen eine weitere theoretisch angelegte Schau. Aber so wenig die Einschätzung der documenta X richtig war, genau so wenig trafen die Befürchtungen für die documenta 11 zu. Weit stärker als Catherine David legte Enwezor die Ausstellung global an.

Von nur wenigen Künstlern abgesehen hatte jeder documenta-Teilnehmer seinen eigenen, großzügig bemessenen Raum, so dass man den Eindruck hatte, durch eine Abfolge von Einzelausstellungen zu gehen. So prägten sich die Räume mit den Installationen von Louise Bourgeois, Georges Adeagbo, Mark Manders, Annette Messanger und Allan Sekula nachhaltig ein. Die üppigen Platzverhältnisse hatte man der Einbeziehung der ehemaligen Binding-Brauerei zu danken.

Die documenta 11 hat zur besseren Akzeptanz von Videoarbeiten entscheidend beigetragen. Die Ausstellungsleitung erreichte das, indem sie für jede Arbeit eine eigene Projektionsform fand: Bei Kutlug Ataman bewegten sich die Besucher zwischen drei frei im Raum hängenden Projektionsflächen, auf die Filmbilder innen und außen projiziert wurden. Bei Eija-Liisa Ahtila blickte man auf eine Panorama aus drei riesigen Projektionswänden. Und die Arbeit von William Kentridge durfte man sich wie im Kino anschauen.

Die documenta 11 erfuhr im Gegensatz zu ihrer Vorgänger-Ausstellung eine breite Akzeptanz, obwohl der Anteil der dokumentarischen Arbeiten gar nicht viel kleiner war. Der Vorzug der Ausstellung war, dass sie mit den Mitteln der Kunst argumentieren konnte und dabei alle Formen der Kunst sinnlich erfahrbar machen konnte.

Schreibe einen Kommentar