Der Schaffensbegriff ist bedeutungslos

Dirk Schwarze im Gespräch mit Susanne Pfeffer

Als Nachfolgerin von Rein Wolfs hat Susanne Pfeffer im Frühjahr die künstlerische

Leitung des Fridericianums in Kassel übernommen. Die aus Hagen stammende

Kunsthistorikerin (Jahrgang 1973) hatte zuvor das Bremer Künstlerhaus (2004

– 2006) und die KunstWerke in Berlin (2007 – 2012) geleitet. Im Fridericianum

startet sie mit der Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ (29.

September bis 26. Januar 2014), in der sie erstmals internationale Künstler

zusammenbringt, die sich nicht mehr als Schöpfer originärer Werke empfinden,

sondern mit ihren Objekten so gut wie anonym bleiben wollen. In einer Zeit, in der

pausenlos millionenfach Bilder generiert werden, sehen es diese Künstlerinnen und

Künstler nicht mehr als ihre Aufgabe an, Bilder und Räume zu schaffen. Vielmehr

übertragen sie Bilder und Objekte aus der Alltagswelt in den Ausstellungsraum,

wobei sie auch den Übertragungsprozess entsubjektivieren. Die Bilder und Objekte

werden so präsentiert, wie sie in der Alltagswelt sind. Der Ausstellungsraum wird

damit aus der Kunstwelt herausgelöst.

Eingeladene Künstler sind: Michele Abeles, Ed Atkins, Trisha Baga & Jessie Stead,

Alisa Baremboym, Kerstin Brštsch & Debo Eilers, Antoine Catala, Simon Denny,

Aleksandra Domanoviś, GCC, Yngve Holen, Sachin Kaeley, Daniel Keller, Josh

Kline, Oliver Laric, Tobias Madison, Katja Novitskova, Ken Okiishi, Jon Rafman,

James Richards, Pamela Rosenkranz, Avery Singer, Timur Si-Qin und Ryan

Trecartin

Wie sind Sie zur zeitgenössischen Kunst gekommen?

Während meines Studiums der Kunstgeschichte, Philosophie und

Theaterwissenschaften habe ich mich vornehmlich auf das Mittelalter konzentriert,

weil das mir sehr fremd war, und ich mich schon von jeher mehr für Dinge oder

Themen interessiert habe, die mir nicht gleich zugänglich sind. Zugleich empfand

ich mich aber auch immer als Zeitgenossin und habe mich während meines

Studiums in Leipzig, Berlin und Rom für zeitgenössische Kunst und Künstler

interessiert und vornehmlich diesen Bereich gearbeitet.

Was haben Sie da konkret gemacht?

Während meines Rom-Studiums 1997 habe ich für die Vatikanischen Museen

gearbeitet. Damals war junge zeitgenössische Kunst nicht besonders präsent in

Rom. Allein in den Akademien, wie der Britischen Akademie, Villa Medici oder

Villa Massimo schienen Kunst und Künstler sichtbar zu sein. Olaf Nicolai war

damals in der Villa Massimo. In dieser Zeit entwickelten sich die ersten Kontakte
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und Kooperationen mit Künstlern. Beispielsweise habe ich für Jörg Herold, der ein

Projekt am Bundestag realisierte, recherchiert. So kam eins zum anderen.

Aber wie wurde daraus ein dauerhaftes Verhältnis zur aktuellen Kunst?

Als ich hörte, Udo Kittelmann wird Kurator für den deutschen Pavillon in

Venedig, habe ich mich blind beworben. Das schien gut zu passen – nach

dem Magister drei Monate Venedig. Ich habe dann auch 2001 Kittelmann in

Venedig assistiert, als Gregor Schneider sein Projekt realisierte. Danach lud mich

Kittelmann ein, noch ein halbes Jahr in Köln zu bleiben, um für den Kölnischen

Kunstverein zu arbeiten. Und dann fragte er mich, ob ich Lust hätte, mit ihm ans

Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt zu gehen. Das habe ich dann

gemacht. Nach fast drei Jahren Assistenz war mir klar, dass ich nun eigene Projekte

machen möchte. So bin ich 2004 ans Künstlerhaus Bremen gegangen und habe

erstmals selbst Ausstellungen kuratiert.

Was reizt Sie am direkten Umgang mit den Künstlern? Mit ihnen gemeinsam etwas entwickeln

zu können? Oder ist es die Dialogsituation?

Es ist natürlich am schönsten, wenn man Neuproduktionen macht, weil man dann

etwas Neues ermöglichen kann, eng mit den Künstler zusammenarbeitet und das

immer eine ganz intensive Auseinandersetzung mit dem Werk abverlangt. Ich lerne

eigentlich jedes Mal neu sehen, weil jeder Künstler visuell ganz unterschiedliche

Schwerpunkte und Herangehensweisen hat.

Wie finden Sie die Themen für Ihre Ausstellungen?

Bei Themenausstellungen gehe ich immer von den vorhandenen Arbeiten aus. Das

heißt die Themen entwickeln sich aus der Kunst selbst.

Wo ist Ihr Ansatz – im Ästhetischen oder im Politisch-Gesellschaftlichen?

Das hängt davon ab, was da ist. Wenn einzelne Werke gesellschaftlich-politische

Fragestellungen aufgreifen, dann finde ich es wichtig, solche Arbeiten auszustellen.

Es gibt natürlich auch Positionen, die vermeintlich rein ästhetische Fragen

behandeln, wobei ich finde, dass gute Kunst immer Gesellschaft reflektiert und

damit politisch ist. Das belegt auch meine erste Ausstellung im Fridericianum,

in der die Künstler Anfang oder Mitte 30 sind. Ich halte diese Künstler für

hochpolitisch. Aber man muss seinen Blick neu einstellen und schärfen und ältere

Vorstellung von Kritik erst hinter sich lassen. Kritik wird hier nicht in bekannten

Mustern artikuliert sondern es wird der Komplexität und Verflechtung der Dinge
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und des Menschen selbst in der sog. globalen Welt Rechnung getragen.

Waren die eingeladenen Künstler schon in ein Netzwerk eingebunden oder kommen sie durch die

Ausstellung erstmals in Berührung?

Unterschiedlich. Diese Künstler sind untereinander, jenseits nationaler Grenzen,

gut vernetzt. Ein Beispiel dafür ist Alexandra Domanović aus Slowenien. Sie hatte

eine ihrer allerersten Ausstellungen überhaupt im New Museum in New York. So

etwas ist erst im Zeitalter der digitalen Kommunikation möglich. Geographische

Distanzen spielen eine wesentlich geringere Rolle. Dementsprechend kennen

sich einige Künstler schon und verfolgen, was die anderen machen. Sie sind

sich schon bewusst, dass sie an ähnlichen Fragestellungen arbeiten. Das war

auch der Ausgangspunkt dieser Ausstellung, dass sich bestimmte Künstler an

unterschiedlichen Stellen der Welt mit Fragen beschäftigen, die viel mit den

tiefgreifenden technologischen Veränderungen zu tun haben, mit den daraus

resultierenden Brüchen in der Kommunikation und vor allem im Umgang mit

Bildern. Denn der Umgang mit Bildern hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten

radikal verändert – wie wir Bilder sehen, wie wir sie verarbeiten und mit ihnen

umgehen. Überhaupt hat sich die Kommunikation immens gewandelt: Wie

verständigen wir uns, in welcher Geschwindigkeit und in welcher Länge und

Kürze? Und natürlich ist unser Umgang mit dem Körper ein ganz anderer

geworden.

Wie wird das spürbar?

Die Künstler dieser Ausstellung ziehen bewusst nicht so eindeutig eine Grenze

zwischen Künstler und Betrachter. Sie nehmen den Besucher ernst, begegnen

ihm als emanzipiertem Betrachter auf Augenhöhe. Das Objekt ist ohne den

persönlichen Bezug in der Welt, und der Künstler verabschiedet sich von seiner

Rolle als Genius und Schaffender. Auf der anderen Seite kommt der Betrachter aus

seiner passiven Rolle heraus.

Geht das ins Theoretische?

Viele der beteiligten Künstler haben einen ausgeprägten Bezug zu zeitgenössischen

Philosophien, im Spezifischen zum Spekulativen Realismus. Diese starke

Theoriebindung, die insbesondere mit ihrem Umgang mit der Welt und mit ihrer

Arbeitsweise zu tun hat, fand ich anfangs sehr erstaunlich. Da findet ein intensives

Nachdenken über das statt, was sich gerade verändert. Diese eingreifenden

technologischen Veränderungen im Umgang mit Bildern, Körpern und Sprache

wird von den Künstlern präzise beobachtet reflektiert. Noch gibt es bisher

keine Kunsttheorie zu dem, was diese Künstler machen. Deshalb ist es nicht
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einfach, diese Haltungen zu vermitteln. Die Künstler haben einen ganz anderen

Objektbegriff. Bei den Alltagsobjekten, die sie in ihren Arbeiten präsentieren, geht

es um den Wandel, um die Veränderung, nicht um die Situation oder um die Frage

des Readymades. Auch das Generieren von Bildern hat einen anderen Stellenwert

angesichts der Tatsache, dass die Bildherstellung zur Massenphänomen geworden

ist und gar nicht mehr fassbar ist. Das Schaffen von Bildern war früher die ureigene

Domäne der Künstler. Damit wird dieser Schaffensbegriff bedeutungslos. Zwar ist

das, was die Künstler machen, immer noch im klassischen Sinne Kunst. Aber man

muss zu neuen Begrifflichkeiten kommen.

Wo haben Sie die Künstler gefunden?

Die ersten Arbeiten dieser neuen Generation habe ich vor drei Jahren in Berlin

gesehen. Ich war mehr als irritiert. Doch das sind oft die interessantesten

Positionen, zu denen man nicht direkt einen Zugang hat. Im Laufe der Zeit hat

diese neue Kunstrichtung mehr Sichtbarkeit gewonnen, und ich merkte, dass das

nicht nur ein Berliner Phänomen ist.

Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe intensiv recherchiert, mich mit über 100 künstlerischen Positionen

auseinandergesetzt, 47 Atelierbesuche gemacht und am Ende 23 Künstler und

Künstlergruppen eingeladen. Das interessante ist, das es vier große Felder gibt.

Das eine ist der neue Umgang mit dem Generieren von Bildern. Die anderen

sind die Veränderung der Sprache, der Umgang mit dem Raum und der Körper

des Besuchers. Der Körper spielt eine große Rolle. In der Ausstellung tauchen

beispielsweise erstaunlich viele Hände auf. Überhaupt gibt es drei gegenständliche

Motive, die mehrfach vorkommen – Hände, Katzen und Wasserflaschen. Hände

sind offenkundig, weil sie die Verbindung zwischen dem Menschen und der

digitalen Welt herstellen. Und selbst der sprachliche Ursprung von digital verweist

ja auf die Hand. Katzenbilder sind das weitverbreitetste Motive im Internet und

Wasser in Flaschen ist wohl eines der höchstpsychologisierten Produkte in den

letzten Jahrzehnten.

Waren einige Künstler überrascht, in diesem Kontext angesprochen zu werden?

Nein. Das hängt auch damit zusammen, dass das Thema und die Fragestellungen

aus den Arbeiten abgeleitet wurden. Die Künstler sind erfreut, ihre Arbeiten

erstmalig in einem größeren Zusammenhang zur Diskussion stellen zu können.

Nun gibt es ja zum Umgang mit Bildern in der Kunst eine lange Tradition. Bleibt dieser

historische Aspekt außen vor?
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Nein. Es ist ja nicht so, dass die Künstler einfach vom Himmel gefallen sind.

Die haben Kunst studiert und Lehrer gehabt, die wiederum historische Bezüge

einbrachten. Ihnen ist sehr bewusst, was vorher passiert ist. Aber dadurch, dass sie

sehr hemmungslos – was ich gut finde – Objekte aus der uns umgebenden Welt

herausnehmen, ohne den Vorgang zu thematisieren, vollziehen sie einen großen

Bruch. Darüber hinaus betrachten sie alles sehr strukturell, auch das Kunstsystem

selbst. Sie arbeiten bewusst oft kollaborativ, kuratieren und schreiben eigene

Pressetexte.

Verstehen das die Besucher?

Sicher. Wie bereits erwähnt gehen sie von einem wachen und emanzipierten

Besucher aus. Trotzdem muss man sich natürlich auf die einzelnen Positionen

und deren unterschiedliche Ansätze einlassen, um die Werke der Künstler zu

begreifen. Um eine intensive Auseinandersetzung zu ermöglichen, habe ich nicht

50, sondern 23 Künstler- und Künstlerkollektive eingeladen, um deren Positionen

so in Werkgruppen vorstellen zu können.

Ihr Vorgänger Rein Wolfs hatte so gut wie keine Gruppenausstellungen gemacht. Sie fangen nun

mit einer Gruppenausstellung an. Wie geht das weiter?

Es gibt die beiden großen Formate – Einzel- und Gruppenausstellungen. Ich

finde beide großartig. Dass ich mit dieser Gruppenausstellung begonnen habe, hat

mit dem Thema zu tun, das gerade jetzt sehr virulent ist und das bisher in keiner

größeren Form untersucht worden ist. Es wird in Zukunft beides geben. Für mich

stehen die Ausstellungen in einer Folge und beziehen sich aufeinander. Ich finde es

reizvoll, die große Spannweite des Fridericanum auszuloten.

Das Fridericianum ist das Stammhaus der documenta. Spielt das bei Ihren Überlegungen eine

Rolle?

Die documenta ist weltweit ein einmaliges und damit unvergleichbares Format.

Was ich aber spannend finde, ist, dass die Fragestellung, die meine erste

Ausstellung behandelt, nicht Teil der documenta von Carolyn Christov-Bakargiev

war. Ich fand die jüngste documenta fantastisch und ich freue mich, dass wir mit

der Thematik unserer Gruppenausstellung ein unerforschtes Terrain betreten.

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