Neue Erzählmuster

Helen Marten Parrot Problems – Farhad Fozouni: Aftershock Poetry

Hoch oben auf dem Zwehrenturm, der mit dem Museum Fridericianum verbunden ist, weht an einem Mast eine Fahne. Auf ihr sieht ein arabisches Zeichen. Ein politisches Statement? In einer Zeit, in der sehr schnell alles Arabische unter Generalverdacht gerät, wäre das möglich. Hier aber geht es um etwas anderes, um Schrift, Bild, Sprache und Emotionen.
Das Zeichen auf der Fahne begreifen wir als Ornament, weil wir es nicht lesen können. Dabei liegen wir zu unserer eigenen Überraschung gar nicht so falsch. Denn tatsächlich ist das Zeichen, das der persisch-arabischen Schrift entnommen ist, zum bloßen Dekor geworden. Denn es wird zur Verdopplung von Lauten eingesetzt, doch hier ist kein Laut zu sehen, der zu verdoppeln wäre.

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Damit ist das Thema umrissen, mit dem sich der Iraner Farhad Fozouni (Jahrgang 1979) beschäftigt. Sprache im Spannungsfeld von Bild und Ornament auf der einen Seite und Botschaft sowie Poesie auf der anderen. Im Innern der von Nina Tabassomi kuratierten Ausstellung begegnen wir dem Zeichen erneut – nun als Wandobjekt, als dreidimensionales Bild, von dem wir durch eine Absperrkette ferngehalten werden. Drastisch wird uns vor Augen geführt, wie bei der Übertragung der persischen Schrift in unseren Kulturraum für die meisten Betrachter der Inhalt verlorengeht.. Zum Schlüssel-Szenario wird der oberste Raum im Turm, in dem unter dem Titel „Rain-Fear-Poetry“ die von der Decke hängenden schwarzen Buchstaben und Schriftzeichen zu einer Bühne oder einem Scherenschnitt-Theater werden.
Allmählich begreifen wir Fozounis Suche nach Ausdruckskraft und Schärfe in den Schriftzeichen und der Sprache. Die setzen sich in dem Raum in der 3. Etage durch, der der ganzen Ausstellung den Namen gab: „Aftershock Poetry“ (Nachbeben-Dichtung). Dieser Raum ist bedrückend und zugleich in seiner sprachlichen und bildlichen Gewalt faszinierend. In Anlehnung an einen Miniaturmaler aus dem 15. Jahrhundert hat Fozouni digital schwarz-weiße Bildgeschichten entwickelt, die in ihrer Perspektivlosigkeit rätselhaft bleiben und die jeweils von einem sich durch die ganze Zeichnung ergießenden Blutstrahl geprägt sind. Hier allerdings geht die Sprache nicht verloren. Fozouni hat die deutsche und englische Übersetzung auf die Wand übertragen, so dass wir die Poesie und das explosive Gemisch der Emotionen erfassen können: „Plötzlich ergossssssss sich mein Herz/ dieser Tage nach Sonnenuntergang“. Eine sich im vierstöckigen Turm eindrucksvoll entwickelnde Raumfolge, die uns zwingt, neu nachzudenken.
Nach zwei Gruppenausstellungen präsentiert Kunsthallen-Leiterin Susanne Pfeffer jetzt parallel drei Einzelausstellungen. Sie sind nicht aufeinander bezogen, berühren sich aber in ihrer Auseinandersetzung mit (Bild-)Sprache und Bedeutung. Die Engländerin Helen Marten (Jahrgang 1985), die das gesamte erste Obergeschoss für ihre Bilder und Installationen erhalten hat, ist eine faszinierende Erzählerin. Ihr Vokabular entnimmt sie der Alltagswelt oder formt sie in Anlehnung an alltägliche Erscheinungen, Träume und Gefühle.
„Parrot Problems“, Papageien-Probleme, nennt sie ihre Kasseler Ausstellung, deren 28 Teile innerhalb dieses Jahres entstanden sind. Damit gibt sie sich als eine ungeheuer intensive Arbeiterin zu erkennen. Ihren Installationen haftet etwas Bühnenhaftes an. Sie sind zum Raum hin offen, und es ist vorstellbar, dass Helen sie Marten weiter wachsen lässt.

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Worum geht es bei den Papageien-Problemen? Eigentlich um alles. Die Künstlerin greift immer wieder Vorhandenes und Bekanntes auf. Sie plappert sozusagen nach, um den Dingen ihre Eindeutigkeit zu nehmen. Während sich bei Fozouni die Sprache im Ornamentalen verliert, macht uns Helen Marten klar, dass wir mit unseren Schlagworten und der Hoffnung auf Eindeutigkeiten nicht weiter kommen.
Am deutlichsten wird das in ihren großformatigen Bildern, die eine Auseinandersetzung mit der Malerei naheliegen. Doch Helen Marten hat nie gemalt. Sie nutzt lediglich dieses vertraute Format, um mit Hilfe von auf Leder gedruckten Stereotypen (Katze, Baumstamm, Blätter, Augäpfel) die Betrachter herauszufordern. In einer Bilderserie wird eine auf ihrem Schwanz stehende und damit zur Bewegung unfähige Katze zur Leitfigur. Die mehrfache Wiederkehr der immer gleichen Katze verdeutlicht nochmals nachdrücklich den Bezug zum Titel: Mehr als nachplappern kann diese aus der Malerei abgeleitete Bildsprache nicht.
Den stärksten Teil der Ausstellung bilden die Raumobjekte beziehungsweise die Installationen. Mehrere von ihnen haben als skulpturalen Kern ein wannenförmiges Objekt, das mal als Wiege oder Kinderwagen, mal als Krankenbett, Müllcontainer oder Spieltisch verstanden werden kann. Diese Vieldeutigkeit setzt sich fort, wenn man sieht, wie sich an der Seite der Wannen altertümliche Hausfassaden entwickeln oder wie die Künstlerin diesen Objekten Stoffe, Laub, Blumen, Muscheln, Tiere, Puppen und menschliche Attribute hinzufügt. Dieses vielschichtige Erzählmuster weckt dutzendfache Assoziationen. Eine befremdliche und zugleich vertraute, stets fesselnde und häufig sexuell aufgeladene Atmosphäre entsteht.
Die erotischen Bezüge verstärken sich in dem Teil der Ausstellung, in dem man mehreren Skulpturen aus glasierter Keramik begegnet, die mitunter wie die Beine und der Unterleib von menschlichen Figuren wirken. Schon das Eröffnungspublikum ließ sich darauf ein, diese aus Fundstücken und nachgeahmten Materialien zubereiteten Konstellationen sorgfältig zu lesen und die Bildsprache zu deuten. Gleichwohl ist am Ende des Rundganges klar, dass man längst nicht alles gesehen hatte.
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Erneut hat Susanne Pfeffer unter Beweis gestellt, wie souverän sie mit den Räumen im Fridericianum umgehen kann. Zwischen der Ausstellung von Helen Marten und der Turmarbeit von Farhad Fozoui liegen zwei Kinosäle, in denen die Zwei-Stunden-Filme „Das Netz“ von Lutz Dammbeck und „Stemple Pass“ von James Benning laufen. Beide Filme drehen sich um die Auseinandersetzung mit dem Mathematiker Theodore John Kaczynski, der als Unabomber bekannt geworden ist. Es geht um das Leben im Einklang mit der Natur und um die Realität des Überwachungsstaates. Mit ihrem Wechsel von wortloser Beschaulichkeit und hämmernder Sprache vermitteln die Filme zwischen den beiden Ausstellungen.

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