Zum Tode des spanischen Malers Salvador Dali
Wer war dieser Salvador Dali wirklich? War er der bedeutendste Künstler der Welt, wie er selbst meinte, das große, unerreichbare Genie? Oder war er eher der geniale Darsteller eines Künstlers, der auch exzellent malen konnte? Vielleicht werden wir die Geheimnisse des Spaniers nie ergründen. Bizarr wie sein Leben war sein sich hinschleppendes Sterben. Er, der immer Angst vor dem Ende gehabt hatte, mußte über Jahre hinweg dem Tod ins Auge sehen, zuletzt mit einer Sonde in der Nase, über die er ernährt wurde. Aus seiner selbstgewählten Isolation war Einsamkeit geworden, und man wußte nicht, ob er wohlmeinend abgeschirmt oder eher gefangen gehalten wurde. Mehr als jeder andere Künstler hat Salvador Dali in rund fünf Jahrzehnten das Bild geprägt, das sich die Öffentlichkeit von einem Künstler macht. Seine exzentrischen Auftritte und seine provozierenden Verrücktheiten ließen die schreiend-bunte Projektion einer antibürgerlichen Figur entstehen, die vor traumatischen Bildern explodiert und immer Angst davor hat, berechenbar zu werden. Nur in zwei Hinsichten blieb er sich treu: Er ließ keine Chance aus, seinen eigenen Ruhm zu mehren, und war nie um ein gutes Geschäft verlegen. Als im übrigen Kunstbetrieb „Publicity“ noch ein Fremdwort war, setzte Dali bereits auf deren Mittel. Und er schädigte schließlich seinen künstlerischen Ruf dadurch, daß er selbst (oder andere mit seinem Wissen) Imitationen und Reproduktionen als Originalgrafik in Umlauf brachte. Dalis späte Jahre sind in dieser Beziehung von mehreren Skandalen begleitet. Wohl dem Besitzer einer Dali-Grafik, der hundertprozentig sicher sein kann, daß es sich um ein Original handelt!
„Im Alter von sechs Jahren wollte ich Koch werden. Mit sieben wollte ich Napoleon sein. Und mein Ehrgeiz ist seither gestiegen.“ Mit diesen Sätzen beginnt Dali seine von Legenden durchzogene und literarisch brillante Autobiographie „Das Geheime Leben des Salvador Dali“ (Schirmer/Mosel Verlag, München, 504 S., 49,80 DM). Seinen Drang zur Übersteigerung und zur kontrollierten Bewußtseinsspaltung führen viele Beobachter auf die Tatsache zurück, daß der Katalonier 1904 im Schatten seines kurz zuvor gestorbenen Bruders aufwuchs. Sein begabter Bruder war ihm so sehr als Vorbild aufgezwungen worden, daß er sogar dessen Namen übernehmen mußte.
Fast eben so früh wie sein Hang zur Exzentrik bildete sich Dalis überragende zeichnerische und malerische Begabung heraus. Der junge Kunststudent genoß eine traditionelle Ausbildung, in der er sich die Grundlagen für seine klassische Malweise erwarb. Im Paris der späten 20er Jahre hatte er dann seine entscheidenden Begegnungen mit den Surrealisten, die ihre Bildmotive aus der Welt der Träume und dem Unterbewußten holten. Nachdem Dali diesen Weg für sich als Möglichkeit entdeckt hatte, verfolgte er ihn mit einer Konsequenz wie kein anderer. Seine plastisch und klassisch gemalten Bilder wurden zum Inbegriff des Surrealismus: Elefanten auf Spinnenbeinen, weiche Uhren, brennende Giraffen, Frauenkörper, durch die man in weite Landschaften blicken kann. Salvador Dali wurde zum Zauberer der Malerei, er mobilisierte eine schier unerschöpfliche Phantasie und schuf Bilder voller Sinnlichkeit, Erotik und Schrecken. Seine Frau und Muse Gala, die er zur Nebenkünstlerin kürte, saß ihm nicht nur Modell, sondern managte ihn auch und regte ihn in der Nachkriegszeit zu einer religiösen Malerei an, die nicht nur riesige, sondern auch kitschige Dimensionen erreichte. Aber nicht nur auf der Leinwand produzierte Dali seinen Bilderrausch. Mit Bunuel zusammen schuf er den surrealen Film „Ein andalusischer Hund“, er illustrierte Bücher, entwarf Schmuck und ließ die ihn umgebende Welt zu einem Bild seiner Phantasien werden. In den Augen Dalis verspielte der sein Künstlertum, der sich politisch gab. Doch ganz unpolitisch konnte er mit seinem Hang zu Aristokratie und Führertum auch nicht bleiben. Seine Bewunderung für Franco und dessen faschistisches Regime in Spanien trug ihm den Bruch mit den anderen Surrealisten ein. Dalis Visionen haben nicht die Welt verändert, aber sie haben sich ihr tief eingegraben. In den besten seiner Bilder wurde das künstlerisch vollendet auf die Spitze getrieben, was Freud und seine psychoanalytische Schule nur andeuten konnten. Fernab des Streits um sein Erbe ist Dalis Ruhm gesichert. Seine Gemälde hängen in den großen Galerien der Welt, und in Cleveland/Ohio sowie in seiner Geburtstadt Figueras sind Dali-Museen zu besichtigen.
Die Bühne des Phantastischen
Von Dirk Schwarze (Text) und Lothar Koch (Farbfotos) Nicht immer lag die Welt dem Meister so zu Füßen, wie es sich seiner Ansicht nach gehört hätte. Doch entziehen konnten sich diejenigen seiner Faszination auch nicht, die einmal auf ihn und sein Werk aufmerksam geworden waren. Der spanische Maler Salvador Dali, der Anfang der Woche 84jährig starb, verstand es wie kein anderer, alles zu seiner Bühne zu machen, auf der ein Non-StopTheater spielen konnte. Auch das Museum, das sich Dali in seiner Heimatstadt Fiueras schaffen durfte, ist zualererst ein Ort der Inszenierung. Nicht etwa deshalb, weil der Meister des Surrealismus das ehemalige (ausgebrannte) Stadttheater für seine Zwecke um±>auen durfte, sondern vor allem, weil ihm die einzelnen Bilder nie genügten. Das machte ja zuweilen seine Auftritte und Werke so abenteuerlich, daß er sich selbst in seinen Phantasien und Bilderfindungen noch zu übertreffen suchte.
Das Dali-Museum in Figueras, das wir hier in einigen Bildern vorstellen, bezieht folglich seinen Reiz auch nicht aus der Ansammlung von Originalen, sondern aus der nur Dali möglichen Durchmischung von riesigen Bildern, Reproduktionen, Fundstücken, Werken anderer Künstler und phantasievollen Beiträgen von Verehrern. Das Museum ist eine Bühne des Phantastischen – auf der manches auch nur Attrappe ist. Immer war der Spanier auch ein Meister der Täuschung. Seine ganze Lust an der Kunst speiste sich aus dem Verlangen, das Auge und die Vorstellungswelt zu überlisten, gegen die Vernunft anzumalen. Die brennenden Giraffen und weichen Konstruktionen waren keineswegs bloß immer kontrollierte Traumbilder, sondern oft auch bewußt übersteigerte Visionen. Dali malte nicht nur klassisch, er entlieh auch zahlreiche Motive der Kunstgeschichte, die er in seine Kompositionen einbaute, sie in ungewohnter Perspektive zeigte und ihnen neue Bedeutung gab. Den Gipfel der Zuspitzung erreichte er in seinen Doppel- und Dreifachbildern, in denen er mehrere gegensätzliche Bildmotive verbarg, die sich jeweils nur beim Standortwechsel enthüllten. So malte Dali 1958 eine „Sixtinische Madonna“, die aus unmittelbarer Nähe gegenstandslos erscheint. Tritt man zurück, wird eine Madonna sichtbar, wie sie Raffael schuf. Entfernt man sich noch weiter, verformt sich die Madonna zum Ohr eines Engels. In dem Museum in Figueras ist eine verwandte Trick-Komposition zu sehen: In dem Porträt des Abraham Lincoln wird eine nackte Frau sichtbar. Die Bilder, die Dali in die Welt setzte, halten in Atem. Möglicherweise werden wir noch einige Neuentdeckungen machen können, wenn der Nachlaß gesichtet und – wie zu hoffen – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Wir werden mit ein bis zwei weiteren Dali-Museen in Spanien rechnen können. Um den Nachruhm des Spaniers werden wir uns vorerst keine Sorgen machen müssen. Der wird groß sein. Spanien kann sich auf neue Kultstätten und einen Pilgerstrom freuen.
Dali ist tot. Es lebe Dali!
HNA 24. 1. 1989