Letzte Schicht im Lampenladen

Im Herbst soll Erich Honeckers Palast der Republik endgültig abgerissen werden
Legenden sind viel schöner als die Wahrheit. Eine der Legenden lautet: Der Palast der Republik (Unter den Linden) war gar nicht so asbestverseucht, wie behauptet wurde. Die Schließung im Jahre 1990 und seine Verwandlung in eine halbe Ruine bei der Asbestsanierung seien nur deshalb so rasch erfolgt, weil die Verantwortlichen im „Hass auf alles, was die DDR hervorgebracht habe“ vereint gewesen seien. Deshalb werde systematisch der Abriss des Gebäudes betrieben. Im Herbst diesen Jahres soll er nun endgültig erfolgen.

Die Legende steht auf einem äußerst wackligen Boden. Denn es waren nicht erst die westdeutschen Politiker, die die Schließung des Gebäudes betrieben. Vielmehr hatte noch die einzige frei gewählte Volkskammer den Schließungsbeschluss gefasst. Über die Asbestverseuchung soll schon seit 1980 immer wieder geklagt worden sein. Trotzdem haben der Palast der Republik und die ihn umrankenden Legenden gute Chancen, in die Geschichtsbücher einzugehen.
Und wenn er eines Tages nicht mehr steht, wird er genauso zum Mythos werden wie das alte Berliner Schloss. das Erich die DDR 1950 Honecker sprengen ließ und an dessen Stelleder von 1974bis 1976 erbaute Palast geplant wurde. Dieser Kreislauf der Verdrängung und Vernichtung ist es, der die Emotionen um das Schicksal des Palastes hochkochen lässt. Denn längst sammeln die traditionsbewussten Berliner dafür, dass auf dem Gelände ein Neubau mit der alten Schlossfassade entstehen kann. Grundlage dafür ist ein Beschluss des Bundestages von 2003.
Das dort geplante Humboldtzentrum, das einschließlich der Schlossfassade 670 Millionen Euro kosten soll, liegt aus Finanzgründen vorerst auf Eis. So wird daran gedacht, nach dem Abriss dort provisorisch eine Grünanlage zu schaffen. Gezielt wollte die DDR auf dem Gelände des alten Schlosses (und gegenüber des Domes und der Museumsinsel) einen Volkspalast setzen, der für die politische Macht (Volkskammer) ebenso stehen sollte wie für Unterhaltung und Entspannung (Theater, Restaurants) und die internationale Kultur (Harry Belafonte und Udo Lindenberg).
Schön war der Palast bestenfalls im Vergleich zu größeren Sünden der sozialistischen Architektur. Immerhin hielt sich Chefarchitekt Heinz Graffunder bei der Planung des 180 Meter langen, 85 Meter breiten und 32 Meter hohen Gebäudes an die Traufhöhen der Umgebung. Für DDR-Verhältnisse gingen die Planer verschwenderisch mit Glas und Licht um, weshalb in Anspielung auf Staats- und Parteichef Erich Honecker „Erichs Lampenladen“ genannt wurde. 70 Millionen Besucher soll der Palast in 14 Jahren angezogen haben. Dort begegneten sich Parteimief und die Sehnsucht nach der weiten Welt.
In der Palastfassade spiegelt sich der Dom, und bei Sonnenuntergang strahlt die getönte Glasfront kupfern. Der Bau ist auch als ruinenhafter Koloss ein Blickfang in der Mitte der Stadt, die in dem Bereich nur das gelten lässt, was historische Fassaden hat. Auch deshalb ist für viele der Palast ein Ärgernis. Doch unerwartet ist der Bau auch außerhalb romantisch verklärter PDS-Zirkel zum Kultgebäude geworden. Die linke kritische Szene hat den Palast als Veranstaltungsort entdeckt. Sie feiert das dem Tod geweihte Gebäude als Volkspalast – so wie ihn im Ursprung die DDR-Führung dachte. Führungen werden durch das Gebäude angeboten, unter dem Stichwort „Palast der Republik“ findet man im Internet zahllose Seiten mit Grundrissen und Detailbeschreibungen. Kabarett und Konzerte werden gegeben, und Frank Castorf ist mit der Volksbühne dorthin umgezogen, um Döblins „Alexanderplatz“ zu spielen.
Vom 4. bis 26. August soll im Palast ein gewaltiger Berg errichtet werden, der zum Wandern und Erkunden einladen soll. Möglicherweise die letzte Schicht. Für diese Szene lebt der Palast. Sie hat in ihm ein Forum gefunden, das sie genauso kreativ nutzt wie andernorts ausgediente Fabriken. Für einige Monate hatten sie in der Arbeit des Norwegers Lars Ramberg die Verbildlichung ihres Denkens gesehen. Der hatte von Januar bis Juni auf dem Dach des Palastes sechs Meter hohe Buchstaben leuchten lassen, die das Wort „Zweifel“ ergaben.
HNA 9. Juli 2005

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