Heraus aus dem Bilderwald

Markus Lüpertz, Jahrgang 1941 und seit 1976 Professor an der Karlsruher Akademie, ist ein Maler, der Spannungen erzeugt. In den 70er Jahren galt er lange Zeit als Einzelgänger. Seine plötzlichen Rücktritte von der Teilnahme an der documenta 6 (1977) und der Biennale in Venedig (1980) machten ihn nicht beliebter. Und als Ende 1979 die Kölner Kunsthalle Lüpertz‘ Werk als einen monumentalen Bilderwald zelebrierte, da wurde von einigen Experten bis zum Faschismus-Vorwurf gegen Lüpertz polemisiert. Nicht nur die Größe und Menge der Bilder (manchmal variierte Lüpertz ein Motiv bis zu fünfmal und schuf so Bilderfriese von zehn Metern Länge) oder das unerschütterliche Selbstbewußtsein des Malers verursachten die Aufregung, sondern vor allem die Bildthemen, die Tabus berührten: Stahlhelm und Wehrmachtmütze, Ährenfeld und Mutterboden. Doch die Unterstellungen waren im Falle Lüpertz ebenso unberechtigt wie gegenüber Anselm Kiefer, der sich gleichfalls malend in Tabuzonen hineingearbeitet hatte. Lüpertz leistete in jenen Jahren „Trauerarbeit“, stellt Carl Haenlein sehr richtig fest. Die dreiteilige Serie
„Schwarz-Rot-Gold“, in der die (menschen)leere Kontur eines Wehrmachtsoldaten und ein rollendes Geschütz zu einer Form verschmelzen, ist Mahnmal und nicht Ehrenmal. Lüpertz holte wie Kiefer, und auf andere Weise wie Immendorff und Baselitz, nicht nur den Gegenstand in die Malerei zurück, sondern auch die politische Dimension, ohne vordergründig politische Aussagen zu machen. Er ist darüberhinaus von einer unbändigen Mallust besessen, produziert in Serien, greift Motive immer wieder auf, um sich ihnen und ihrem Bild zu nähern und sie auf diese Weise dann auch loszuwerden. Carl Haenlein hat jetzt in der Kestner-Gesellschaft Hannover Lüpertz eine große GemäldeAusstellung (begleitet von einem hilfreichen Katalog) ermöglicht, die eine Bilanz aus 13 Schaffensjahren zieht.
Obwohl auch hier die Dreier-Serie „Schwarz-Rot-Gold“ mit im Zentrum steht, wiederholt sich das Erlebnis der Kölner Ausstellung nicht. Der Maler selbst, so scheint es, ist aus dem monumentalen Bilderwald herausgetreten. Obwohl er auch jetzt noch in Serien denkt und arbeitet, wirkt das, was er in den vergangenen drei, vier Jahren gemalt hat, stiller, privater und nachdenklicher. Lüpertz ist der Beschäftigung mit Mythen treu geblieben. An die Stelle des politischen Mythos ist häufig aber der Mythos Malerei getreten.
Die „Serie von 9 Bildern“ etwa (1980) setzt sich intensiv mit der Malerei unseres Jahrhunderts auseinander, mit dem Zerbröckeln der Gegenstände, mit dem Gegeneinander der Farbfelder und mit dem Spiel der Maltechniken; und dabei entstehen geradezu überraschend farbige und harmonische Kompositionen. Andererseits nimmt er in den Bilderfolgen „Standbein – Spielbein“ (Überlegungen zur Figurenmalerei) und „Die Vertreibung aus dem Paradies oder der Erzengel haut auf den Tisch“ erstaunlich stark die Farbigkeit zurück und läßt so Farbauftrag und Pinselführung hervortreten. Diese beiden Bilderfolgen bringen eine Rohheit und Disharmonie in die Bilder, wie man sie von Baselitz kennt. Und auch die eine große Skulptur, die zur Ausstellung gehört, die bemalte Bronze zum Thema „Standbein Spielbein“ trägt in ihrer Monumentalität und Grobheit ähnliche Züge. Lüpertz scheint an einem Wendepunkt zu stehen.
HNA 27. 8. 1983

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