Mit der Neugestaltung einer Gemäldeabteilung rücken die Kunstsammlungen in Weimar die Werke in ein neues Licht, die vom Aufbruch der Moderne in der Klassikerstadt künden.
Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte eine Schule für Hofmaler im Sinn, als er 1860 die fürstliche Kunstakademie gründete. Die Personalpolitik des ersten Direktors, Stanislaus Graf v. Kalckreuth, unterlief diese Absichten. Er berief vorwiegend jüngere Maler als Lehrer und setzte dabei bevorzugt auf die realistische Landschaftsmalerei. Franz Lenbach und Arnold Böcklin kamen so nach Weimar, Theodor Hagen und Alfred Brendel folgten. Vor allem Brendel war es, der durch seine Studienaufenthalte in Barbizon die Anregungen der Freiluftmalerei nach Weimar mitbrachte.
Und schon nach 1890 wurden in der Klassikerstadt die umstrittenen französischen Impressionisten vorgestellt. Das waren gute Bedingungen für eine fruchtbare Entwicklung. Die „Weimarer Malerschule“ wurde zum festen Begriff. Nach Einschätzung von Weimars Museumsdirektor Rolf Bothe erreichte der deutsche Impressionismus in ihrem Umfeld seinen ersten Höhepunkt. Maler wie Max Liebermann, Paul Baum, Curt Herrmann, Christian Rohlfs und später Max Beckmann und Ludwig v. Hofmann gingen aus ihr hervor. Gefestigt wurde die Position dadurch, daß nach der Jahrhundertwende Harry Graf Kessler durch Ankäufe den Grundstock für ein Museum der Moderne schuf.
Die „Weimarer Malerschule“ war im Schloßmuseum immer präsent, doch man mußte sich durch die DDR-Malerei zur Moderne vorarbeiten. Jetzt hat Bothe erst einmal die DDR-Kunst ins Depot auslagern lassen, nicht um sie zu verbannen, wie er versichert, sondern um Zeit zu gewinnen für eine kritische Neuordnung. Man werde sich sogar bemühen, das eine oder andere Werk aus der DDR-Zeit nachzukaufen. Bis zum Frühsommer 1994 soll in vier neuen Räumen möglicherweise ein deutsch-deutscher Dialog der Nachkriegskunst eröffnet werden.
Nun also wurde Platz gewonnen für die Anfänge der Moderne, die man bislang in Weimar in dieser Dichte und Entschiedenheit hatte nicht erleben können. Erreicht wurde dies nicht bloß durch Umhängungen, sondern auch durch zwei Zukaufe, neue Leihgaben und die Einbeziehung von Depotbeständen. Vor allem der Ankauf von Liebermanns „Kartoffelleserin“ (1874), ein zeichnerisch angelegtes Gemälde in ungewohnt dunklen Brauntönen, das kurz nach Liebermanns Weimar-Aufenthalt entstand, ist ein großer Gewinn – denn es schlägt die Brücke zur Schule von Barbizon.
Erstmals wieder zu sehen ist das Großformat „Badende Frauen“ (1897) von Theodor van Rysselberghe, das einerseits die Verbindung herstellt zu den impressionistisch-pointilistischen Bildern von Monet („Kathedrale in Rouen“, 1894), Paul Baum, Curt Herrmann und Henry van de Velde und andererseits zu dem ähnlich großen Bild von Max Beckmann („Junge Männer am Meer“, 1905). Einige der Räume sind für die Großformate etwas eng. Darunter leidet auch Rohlfs‘ „Ilmbrücke“ von 1889, das hell und plastisch strahlt. Ansonsten vermittelt das Rohlfs-Kabinett mit seinen sieben Gemälden einen intensiven Eindruck von den realistischen Anfängen dieses Malers.
Nach der Neueinrichtung der Cranach-Galerie (Ende Mai) ist nun der zweite Schritt zur Aktivierung des Schloßmuseums vollzogen. Jetzt wartet man darauf, daß das Landesmuseum wiederaufgebaut und ab 1997/98 als Museum des 20. Jahrhunderts dienen kann, wo als Schwerpunkt die Sammlung Maenz (internationale Kunst der 70er und 80er) Jahre einziehen soll, die als Stiftung gewonnen werden konnte. Einen Vorgeschmack auf die Präsentation dieser Avantgarde geben die Kunstsammlungen jetzt in einem Raum des Schloßmuseums. Dort wird je ein Werk von Kiefer, Salvo, Paolini und Roehr gezeigt, sowie ein Bild von Palermo, das die Kunstsammlungen zusätzlich ankaufen konnten.
HNA 16. 10. 1993
Vom Aufbruch der Moderne
Schreibe eine Antwort