Porträts von der Bonner Bühne

Sir Winston Churchill hasste ein von Graham Sutherland gemaltes Porträt von sich so sehr,
daß seine Frau das in moderner Manier gemalte Kunstwerk in Stücke riß und vernichtete. Dies
gaben jetzt die Nachlassverwalter der im Dezember verstorbenen Lady Churchill bekannt. Die
Mitteilung beendete ein jahrelanges Rätselraten über den Verbleib des Porträts. Sir Winston, der auf dem Gemälde mit halbgeschlossenen Augen und vorgeschobener Unterlippe zu sehen war, hatte das
Werk bei einer Feierstunde im November 1954 in der Westminster Hall als Geschenk beider
Häuser des britischen Pariaments zU seinem 80. Geburtstag überreicht bekommen. Es wurde
später nie mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Churchill sagte, auf dem Bild erscheine er
halbblöd, und das bin ich nicht“.
Graham Sutherland gehört zu den berühmtesten lebenden britischen Künstlern. Seine Christus-
Figur in der Kathedrale von Coventry ist weltbekannt. Churchill hatte er im schwarzen
Rock, mit gestreiften Hosen und der obligaten Fliege gemalt. Aber Sir Winston und anderen
gefielen Ausdruck und Haltung nicht.

Lady Churchill beschloß in eigener Verantwortung, das Bild zu vernichten, weil es ihrem
Mann auf die Nerven ging“. Sutherland, nach seiner Reaktion auf die Mitteilung befragt,
sagte: „Ich hege keinen Groll, aber es ist ohne Frage ein Akt des Vandalismus.“ (dpa/upi)

Obwohl seit 150 Jahren die Kunst des Porträtierens von der Fotografie vorzüglich geleistet
wird und obwohl in unserem Jahrhundert sich das Gros der richtungsweisenden Maler und Bildhauer der Porträtkunst entsagt hat, gehören auch in unserer jungen Republik großformatige Politikerporträts
in Öl zur Szenerie in Bonn. Eine Auswahl dieser Bilder, die normalerweise in Museen und Galerien nie zu sehen sind, hat nun der Kasseler Kunstverein erstmals zusammengetragen.

Das gestörte Verhältnis zwischen Kunst und Politik ist oft beklagt worden. Die Beziehung der
Politiker zu ihren Ölporträts auf der einen Seite und das konsequente Übersehen dieser Bildnismalerei
durch den zeitgenössischen Kunstbetrieb auf der anderen ist ein schlagender Beweis dafür. Offiziell
existiert diese Kunstrichtung überhaupt nicht. Und Prof. Karl Oskar Blase bemerkt in dem Vorwort zu
dem Katalog der Kasseler Ausstellung sehr richtig, daß der eigentliche Ausstellungsort dieser Porträts
nicht die Galerien, sondern die Veröffentlichungen in den Massenmedien sind.

Standbilder, Büsten und wandfüllende Ölporträts gehörten Jahrhunderte lang zu den Zeichen von
Macht und Herrschaft. Demokratische Staatsform ist einem solchen Personenkult nicht gerade förderlich.
Der Wunsch aber, Vorbilder aufzubauen und eine eigene Tradition zu begründen, ermutigt die Selbstdarstellungsbemühungen. Und da die Kunstwürde der Fotografie noch nicht allgemein anerkannt
ist, die Darstellung in einem traditionellen künstlerischen Medium aber als erhöhend begriffen
wird, drängt es immer wieder Politiker zu Öl, Stein und Bronze. Je berühmter der Maler oder
Bildhauer, umso größer die Ehre für den Politiker. Umgekehrt gilt gleiches. Gesetzt den Fall, der
Ruhm eines Künstlers ist gleichbedeutend mit Qualität, wachsen jedoch mit dem Ansehen eines
Künstlers die Schwierigkeiten für den Abgebildeten. Der wahre Künstler nämlich nimmt das Prominentenporträt nur zum Anlaß für ein Bild: Prof. Blase konstatiert neben der künstlerischen Eigenwilligkeit in der heutigen Zeit eine Tendenz zum Häßlichen als Mittel der subjektiven Ausdruckssteigerung. Diese Tendenz müsse auch von dem Modell akzeptiert werden.

Blase meint nun, die Bereitschaft steigere sich mit der Berühmtheit des Künstlers: „Wenn der Prominente
den Prominenten malt, geht so etwas wie eine Seelenwanderung vor sich. Der Maler oder Bildhauer
sieht auch noch im berühmtesten Abbild immer sich selber, man erfährt in diesen verkappten
Selbstdarstellungen immer nur etwas über den Künstler, man denkt auch in erster Linie an den Künstlernamen. Was den Porträtierten nicht stört, der Eingang in die Kunstgeschichte durch ein Künstlermedium als begnadetes Wesen, ist da noch nicht mal der wichtigste Grund, sondern die Steigerung
der Popularitätskurve und ganz einfach der Spaß am künstlerischen Experiment“.
Das Problem der Häßlichkeit erhielt ein dramatisches Gewicht im Umgang der Familie Churchill mit
dem Porträt, das der prominente Maler Sutherland angefertigt hatte.Lady Churchill hat dieses Gemälde kurzerhand zerrissen.

Nicht immer enden solche Auseinandersetzungen so brutal. Meistens verschwinden die ungeliebten
Bilder einfach klammheimlich auf irgendeinem Boden. Ein viel größeres Problem unserer Zeit ist
aber, daß diejenigen Künstler, die heute zu den maßgeblichen und prominenten gerechnet werden,
nur in ganz wenigen Ausnahmefällen überhaupt bereit wären, ein Porträt anzufertigen. Viele Politiker,
die Amtsräume mit Porträts in Öl schmücken wollen, haben diese Entwicklung bloß nicht beobachtet
oder erkannt. Kein Wunder, daß sie folglich mitunter an spätakademische Künstler geraten und dann
nicht verstehen, warum die Kunstkritik über diese Bilder herfällt. Ein Unbehagen an dieser Situation
hat sich allerdings bei den Politikern auch längst eingestellt. Der beste Beweis dafür ist, daß der
Kassler Kunstverein immer wieder auf Vorbehalte und Schwierigkeiten stieß, als er den Wunsch äußerte,
ein bestimmtes Bild für diese Ausstellung zu entleihen. Oftmals befürchtete man, daß wieder Maler
und Gemalte der Lächerlichkeit preisgegeben oder der Kunstignoranz bezichtigt werden sollten. Dabei geht es dem Kunstverein gar nicht darum, Noten zu verteilen oder Kunst von Nichtkunst zu unterscheiden.
Das mag dem einzelnen Besucher überlassen bleiben.

Wichtig ist den Veranstaltern fürs erste, einmal im Zusammenhang darzustellen, wie umfangreich und
gut besetzt auf der Bonner Bühne die Porträtkunst ist. Es soll eben endlich einmal jene Randzone der
Kunstszene beleuchtet werden, in der sich eine Gruppe von Malern und Bildhauern und auch unsere
politische Führung bewegen. Nicht vertreten sein werden jedoch jene Maler, die in Fließbandarbeit ohne
eine eigene künstlerische Haltung prominente Politiker porträtieren und doch von der Bonner Hofmalerei profitieren wollen.
14. 4. 1979

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