Lauter Rätsel

Anicka Yi: Jungle Stripe
Kunsthalle Fridericianum, 29. Mai – 4. September
Susanne Pfeffer ist als Kuratorin Grenzgängerin. In immer neuen Anläufen stößt sie in die Regionen vor, in denen unser festgefügtes Bild von der Realität zerbröselt und wir gezwungen werden, über unsere Welt neu nachzudenken. Das fing im Herbst 2013 an, als sie in der Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ Künstlerinnen und Künstler vorstellte, die in ihren Arbeiten den persönlichen Bezug vernachlässigen und sich in der virtuellen Welt bewegen, als sei sie unsere angestammte Wirklichkeit. Vor allem wurde deutlich, dass die Konstruktion des Virtuellen unmerklich das Reale verdrängt hat.
In der Ausstellung „nature after nature“ spitzte die Kuratorin die Fragestellung zu. Es zeigte sich, wie labil die Natur ist und wie bruchlos das, was wir an Müll produzieren, an die Stelle des Natürlichen tritt. Unversehens wurde aus der Ausstellungsfolge eine Trilogie, die 2015 in der Schau „Inhuman“ gipfelte. Die Ausstellungsbesucher wurden mit Lebenswelten konfrontiert, in denen genetische Manipulationen ebenso selbstverständlich sind wie hybride Strukturen. Das Synthetische ist längst nicht mehr von dem natürlich Gewachsenen zu trennen.
Auch wenn die 2016 folgende Ausstellung „Images“ auf andere Problemfelder verwies, muss sie doch in dieser Reihe genannt werden, weil sie ebenfalls eine Grenzerkundung bescherte. Susanne Pfeffer hatte Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die angesichts der Bilderfluten, die uns überrollen, die Funktion und Erscheinungsform des Bildes reflektieren und unsere Aufmerksamkeit auf das Imaginäre lenken. Und indem die Künstler das Wesen der Bilder umkreisten, nahmen sie immer wieder Aspekte auf, die innerhalb der Trilogie thematisiert worden waren.
Mit der Einzelausstellung „Jingle Stripe“ von Anicka Yi (Jahrgang 1971)knüpft das Fridericianum direkt an die Schau „Inhuman“ an, in der die aus Südkorea stammende Künstlerin vertreten war. In einer eindrücklichen Inszenierung hatte sie sich mit den Mikroorganismen auseinandergesetzt, denen wir kaum Aufmerksamkeit schenken, die aber erst unser Leben ermöglichen. So schuf sie museale Räume, in denen das, was verdrängt und übersehen war, nun wie kostbare Schmuckstücke zu Ehren kam.
In ihrer aktuellen Ausstellung vertieft sie die Beschäftigung mit dem Abseitigen, um sich auf die Formen zu konzentrieren, in denen sich Natürliches und Künstliches berühren und vermengen. Anicka Yi radikalisiert ihre Haltung. Sie lässt ein Szenario entstehen, in dem sich die Grenzen verwischen und in dem wir nicht mehr unterscheiden können, wo das Natürliche beginnt und das Synthetische Teil unseres Lebensraumes wird.
Zuerst einmal werden wir gezwungen, uns in einer sterilen Raumfolge zurecht zu finden. Die Künstlerin hat in die hohen und weitläufigen Räume des Fridericianums einen Gang einbauen lassen, von dem aus sich Türen zu kleinen Kabinetten öffnen. Der Gang wirkt steril und bedrückend, weil die Decke niedrig gehängt wurde. Ein Gefühl der Enge und bürokratischen Ordnung entsteht. Wir sehen uns in Laborräume versetzt, in denen anscheinend noch Prozesse der Angleichung und Verwandlung laufen. Denn hier werden die wie Tücher geformten Objekte aus Harz von unten beleuchtet und von einem Uhrendisplay überwacht.
Anicka Yi präsentiert den Besuchern Rätsel, die nicht einfach zu entschlüsseln sind. Gleichwohl müssen sie Position beziehen. Wollen sie Bilder der Schönheit, die allerdings wie die gerahmten Blumen künstlich sind, oder wollen sie sich einer Welt aussetzen, in der sich auf dem Gestänge von Käfigen befremdlicher Pelzbesatz bildet und in der das Laborgerät andeutet, dass die Experimente längst nicht beendet sind?
In einem Raum blicken wir auf ein Zähne fletschendes Tierpräparat, das an die Grausamkeit der Tierversuche erinnert. Eingezwängt zwischen Acrylstangen sehen wir den mit Silikon überstrichenen Wolfshund, den wir als Bedrohung begreifen, obwohl gerade wir selbst für die Bedrohung sorgen. Das Widersprüchliche gehört dazu. So ist beispielsweise der Gang, der zu den Laborräumen führt, gar nicht so steril und sauber, wie anfangs gedacht. Schaut man genauer auf die weißen Wände, dann erkennt man Flecken wie von Vogeldreck. Ist das also der Kommentar der Tierwelt zu unserer Ausbeutung der Natur?
Die zentrale Arbeit dieser Ausstellung ist der Film „The Flaver Genome“, in dem es um von Aromen gesteuerte Wahrnehmungswelten ebenso geht wie um Naturbetrachtungen im Amazonas-Gebiet oder um die Grenzerfahrungen von Leben und Tod. Zuweilen glaubt man, eine Dokumentation zu sehen, in der von Gerüchen, Pflanzen, Blumen und Tieren erzählt wird. Dazu zählt der Bericht über die Züchtung einer Kreuzung von Tiger und Löwen, die im 19. Jahrhundert von sich reden machte. Doch das Experiment mit den künstlich erzeugten Ligern gelang nicht. Die Natur widersetzte sich dieser Mischform.
Der Film, dessen sich frei entfaltende Episoden nur begrenzt deckungsgleich mit den Bildern sind, enthält eine starke poetische Kraft. Ganz allmählich baut er eine Spannung auf – bis hin zu den Bildern des Todes.
Die Ausstellung endet ziemlich überraschend in einem hohen Raum, in dem zwei schwarze Türme die Besucher in die gebaute Wirklichkeit zurückholen. Nach den Ausflügen in die Wildnis kehrt nun die Ordnung wieder ein. Die Naturgewalten werden hinter die Fenster zurückgedrängt.
Begleitheft kostenlos, www.fridericianum.org
Kunstforum 2041, 2016

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