Verboten, verbrannt, gerettet

Auf dem Kasseler Friedrichsplatz entsteht ein Parthenon der verbotenen Bücher

Zum zweiten Mal wird ein Außenkunstwerk zum Symbol der kommenden documenta. 2010 hatte Carolyn Christov-Bakargiev den Italiener Giuseppe Penone eingeladen, zwei Jahre vor der Eröffung der dOCUMENTA (13), am Rande der Karlsaue seinen Bronzebaum, der mit seinen stark beschnittenen Ästen einen Findling trägt, zu errichten. Der Baum fand sehr schnell so viele Sympathien, dass er für diesen Standort erworben wurde.

Auch Adam Szymczyk lässt lange vor der Eröffnung der documenta 14 ein Werk im öffentlichen Raum erstehen: Es handelt sich um die Arbeit „Der Parthenon der Bücher“ der argentinischen Künstlerin Marta Minujín. Am Samstag, 22. 10., fand die Grundsteinlegung auf dem Friedrichsplatz in Kassel statt. Der Kurator Pierre Bal-Blanc hat gemeinsam mit der Künstlerin diesen symbolischen Akt vollziehen. Allerdings wird man vorerst von dem Projekt nicht viel sehen, weil die Grundsteinlegung erst einmal ein Signal zum Start der Sammelaktion war. Die Leser in Kassel und in aller Welt sind eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Es sollen die Bücher zusammengetragen werden, die verboten waren und gezielt vernichtet wurden. Die Bücher werden registriert und in Folien verpackt, damit sie auch feuchtes Wetter überstehen.
Der Bau soll exakt in den Ausmaßen des Athener Parthenon errichtet werden: 30,86 × 69,51 Meter. Die tragenden Elemente des Nachbaus sollen mit den gespendeten Büchern ummantelt werden. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Nikola Roßbach, Gastprofessor Dr. Florian Gassner und Studierenden der Universität Kassel soll eine Liste verbotener Bücher aus der ganzen Welt entstehen, die schon jetzt mehr als 60.000 Titel verzeichnet. Im Verlauf des Projekts wird diese Liste kontinuierlich erweitert. Insgesamt werden 100.000 Bücher benötigt. Sie können aus aller Welt stammen und möglichst viele Sprachen dokumentieren.

Marta Minujín hatte ein ähnliches Projekt 1983, nach dem Ende der Diktatur, in Argentinien realisiert. Damals wurde mit den 30.000 zusammengetragenen Büchern an die Zeit der Diktatur erinnert. Nun gibt es in Kassel ebenfalls Anknüpfungspunkte: Der „Parthenon der Bücher“ entsteht dort, wo 1933 von den Nationalsozialisten 2000 Bücher verbrannt wurden. Die Kulisse dafür war das Museum Fridericianum, das zu dieser Zeit die Landesbibliothek beherbergte. Bei einem Luftangriff wurde 1941 das Fridericianum in Brand geschossen – und 350000 Bände gingen in den Flammen verloren.

001-marta-minujin Am Ende der Aktion in Argentinien wurde der Parthenon mit Hilfe zweier Kräne gekippt, damit sich Bürger die Bücher eneignen konnten und die so wieder in den Umlauf kamen.

Bereits die dOCUMENTA (13) hatte mit der Arbeit von Michael Rakowitz an diesen doppelten Bezug zur Büchervernichtung erinnert. Rakowitz hatte ein kleines Museum der vernichteten Bücher geschaffen und einige der verloren gegangenen Bände in Stein, also als Zeugen der Ewigkeit, nachgearbeitet hatte.

„Der Parthenon der Bücher“ ist zugleich so etwas wie eine Brücke nach Athen, wo zeitversetzt der zweite, besser gesagt der erste Teil der documenta 14 stattfindet. Mit diesem überragenden Symbol wird der griechische Teil der documenta nach Kassel geholt. Der Parthenon ist darüber hinaus das Sinnbild für Bildung, Wissen, Kunst und Demokratie. Er gilt als die Wiege der europäischen Zivilisation. Außerdem grüßt das Fridericianum mit seinen klassizistischen Säulen den Parthenon als den Ursprung der Architektursprache.

Fotos von der Präsentation des „Parthenon der Bücher“ in der Frankfurter Buchmesse

20161021_115957a 20161021_115631a

20161021_115653a 20161021_115706a

20161021_115746a 20161021_120201a

20161021_120208a 20161021_120528a

20161021_121036a

Mit zwei Containern wirbt die documenta 14 für ihr Projekt. In dem einen Container stehen die Transportkäfige, in dem anderen liegen Buchbeispiele aus und wird die Aktion von Marta Minujín von 1983 dokumentiert.

Eineinhalb Transportkisten waren am Nachmittag des 21. Oktober 2016 auf dem Gelände der Buchmesse bereits mit (ehemals) verbotenen Büchern gefüllt. Einige Verlage hatten bereits kistenweise Bücher zur Verfügung gestellt, die verboten waren, aber jetzt wieder im Handel sind.

Erstaunen immer wieder darüber, was alles verboten war – „Der kleine Prinz“, Tucholsky, Thomas Mann und Klaus Mann, Paulo Coelho und und und…

Schreibe einen Kommentar