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Zu den Stahlskulpturen von Mehmet Güler
Die Überraschung kündigt sich beim Einbiegen in diese Straße an. Da sind schon aus großer Entfernung zwei stählerne Skulpturen zu erkennen, die durch den gemeinsamen Sockel zu einer Einheit und einem Zeichen geworden sind. Der Künstler Mehmet Güler tritt selbstbewusst an die Öffentlichkeit, um zu zeigen, dass er sich auch in der Auseinandersetzung mit der plastischen Form behaupten kann. Wir alle kennen ihn als den Schöpfer farbintensiver Gemälde. Die Farben leuchten und treten in den Wettstreit miteinander. Und nun eine Doppelfigur, die fast ganz auf Farbe verzichtet.
Aber eben nur fast, denn die zur Straße hin aufgestellte 2,20 Meter hohe Figur ist aus Cortenstahl geschnitten. Dieser Stahl wirkt mit seiner rostbrauen Oberfläche spröde. Aber sie wird sich noch verändern. Der Rost wird sich weiter durchfressen und wird aufblühen, bis er dann in etwa drei Jahren den Farbzustand erreicht hat, die bleibt. Im völligen Gegensatz dazu glänzt die andere, aus Edelstahl geschaffene Figur. Sie erscheint glatt und zeitgemäß, während die andere etwas Archaische hat.
Damit sind wir genau an dem Punkt, um den Gülers Arbeiten immer wieder kreisen. Die beiden Figuren – Frauengestalten -, die einander zugewandt sind, aber von denen man nicht weiß, ob sie wirklich miteinander reden können, symbolisieren den Dialog. Die rostbraune Figur verkörpert den Orient, die Welt in der Güler aufgewachsen ist. Diese Frauenfigur ist nur in ihrem Umriss erkennbar. Sie ist verhüllt und verschlossen. Die andere Gestalt hingegen steht auf ihren Beinen, betont das Körperliche und ist damit sofort als die offene, westliche Frau erkennbar. Der Edelstahl lässt sie weißhäutig und elegant erscheinen. Sie wirkt überlegen. Hochnäsig lenkt sie den Blick nach oben.

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Diese beiden Figuren, die wie Wächterinnen vor dem Haus stehen und die damit auf Gülers Atelier hinweisen, wirken auf mich wie Kernbotschaft von Mehmet Gülers Schaffen. Der Künstler, der durch seine Biographie zu einem Brückenbauer zwischen den Kulturen geworden ist, hat hier ein überragendes Symbol geschaffen. Und wenn Sie sich noch einmal Gülers Kompostionen vergegenwärtigen – die schreiend bunten und expressiven Gemälde, die stilleren Radierungen und Holzschnitte sowie die verhalten Zeichnungen, dann werden Sie erkennen, dass sich ganz ähnliche Profile von Gestalten aus zahlreichen Bildern herauslösen. Die gemalten und gezeichneten Figuren, so meint Güler, hätten sich schon immer mal befreien wollen. Nun haben sie für sich die Welt erobert und sind herausgetreten aus der Fläche.
Aber die Figuren sind in den Arbeiten auf Leinwand und Papier zumeist flächig geblieben. Auch jetzt, wo sie in den Raum treten, gewinnen sie kein Volumen. Sie bleiben Umrisse, gezeichnete Profile. Auf diese Weise bleibt die Beziehung zu den Zeichnungen und Drucken erhalten. Es ist, als seien sie aus einem Bild herausgeschnitten.
Im Garten finden Sie weitere Stahlarbeiten – eine weitere überlebensgroße Figur, zwei Torsi und eine Gestalt aus Cortenstahl, die aus dem Wasser zu steigen scheint.
Nun brauchen die Freunde von Mehmet Gülers Malerei nicht zu fürchten, dass er sich ganz von der Leinwand abwende. Im Gegenteil, gerade in der jüngsten Zeit ist ein großes Diptychon entstanden, das mit seiner Entschiedenheit noch weitere malerische Impulse ankündigt. Es ist eher so, dass Mehmet Güler immer wieder Grenzen untersucht und überlegt, wie er seine Ausdrucksfähigkeit erweitern kann. Die Arbeit an den Stahlskulpturen war eine Herausforderung. Er hat sie bestanden und hat uns gezeigt, dass er das, was er in seinen Bildern Ausdruck verleihen kann, in der Skulptur zu einem Zeichen machen kann. Die Doppelfigur kann zu einem Logo werden.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich Mehmet Güler an einer plastischen Arbeit versuchte. Vor 13 Jahren hat er frisch geschnittene Baumstämme bearbeitet und aus ihnen Gestalten, Gesichter und verkrüppelte Figuren herausgeholt. Es waren Plastiken, die verletzt schienen und klagend auf uns wirkten. Sie erzählten vom Leid, aber auch von der Lust an Farbe und von der Freude, neue Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen. Mehmet Güler steht zu diesen Versuchen. Aber wenn er weiter an diesen Plastiken gearbeitet hätte, wäre er gewiss einen anderen Weg gegangen. Obwohl die Stahlplastiken vom Material her fremder sind als die Holzskulpturen, schließen sie direkter und konsequenter an die das übrige Werk an.

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