In der documenta 12 (2007) gab es in der Neuen Galerie zwei Räume mit anrührenden Zeichnungen. Während sich die Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Ned Solakov am Rande zu Cartoons bewegten und voller Hintersinn und bissiger Komik waren, wirkten die farbigen Zeichnungen von Annie Pootoogook unverstellt, in gewisser Weise naiv und realistisch. Die documenta 14 räumte der Inuit-Künstlerin Platz für ein Bild und einen langen Text ein: Es ist ein Nachruf auf die Künstlerin, die im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Diese Ehrung ist für mich ein Zeichen dafür, dass ihr Schaffen in der kommenden documenta gewürdigt wird.
Die Zeichnerin fand in der Kunstwelt starke Beachtung und hohe Anerkennung. Umso erschütternder war ihr Tod: Ihr lebloser Körper wurde in Ottawa an das Ufer eines Flusses gespült.
Die Künstlerin, deren Großmutter auch schon künstlerisch arbeitete, hatte einen untrüglichen Blick. Im Alltäglicher erkannte und studierte sie das Besondere und wurde so zu einer liebenswerten Dokumentaristin des Lebens der Inuits, die wir früher Eskimos nannten. Jedes Detail erhielt seinen angemessenen Platz in ihren Zeichnungen. Vor allem gelang es ihr immer wieder, die Atmosphäre der kargen und doch oft farbigen Räume einzufangen.
Da, wo die Bilder intim und hintersinnig wurden, spielte sie keine Überlegenheit aus. Sie blieb einfach der Genauigkeit verpflichtet. Die Bilder zeugen von dem Verlust der eigenen, der ursprünglichen Welt. In den kargen Räumen sieht man sie mit den Errungenschaften der einer Zivilisation, in der das Fernsehgerät die letzte Rettung bleibt. Wer solche Bilder zeichnet, gibt sich unfreiwillig als Opfer zu erkennen. Da ist der Tod im Fluß nicht überraschend.