Der Raum wird zum Bild

Unwillkürlich denkt man die Schrecken des Krieges: Hinter fünf Feuerschalen stehen, streng aufgereiht, fünf mal zehn schwarze Stelen. Sie tragen Kreuze und laufen oben spitzbogig zu, so daß sie ebenso an todbringende Raketen erinnern wie an gotische Kirchenfenster. Oder sollen es Grabstelen sein, Male des Todes? Man kann nicht gleichgültig bleiben. Die Installation, die Josef Delleg in dem großen Raum des Kasseler Kunstvereins geschaffen hat, spricht ganz unmittelbar an.

Dennoch täuscht der Eindruck, mit dieser Arbeit reagiere der Künstler spontan auf den Krieg am Golf. Die Installation wurzelt tiefer, sie verweist auf die Biographie des Südtirolers: In seiner Heimat nutzten die Menschen Bügelbretter, um die Toten aufzubahren; und eben die Form des Bügelbretts liegt seinen Stelen zugrunde. Das Alltägliche und das Außergewöhnliche liegen weit näher beieinander als wir wahrhaben wollen, ja, sie sind bisweilen austauschbar. Ebenso können Bedrohung und Trauer, Gewalt und Schönheit die gleichen Formen nutzen. Genau darauf zielt Dellegs Intallation: Indem sie einen feierlich-religiösen Raum herstellt, zielt sie auf gegensätzliche Gedanken und Gefühle. So ist es nur konsequent, daß er dieser Arbeit keinen Titel gab. Je mehr man die gedanklichen Fundamente (die Botschaften) freizulegen versucht, desto stärker erkennt man, daß die ästhetische Komponente das überragende Element ist: Josef Delleg hat den Raum in ein Bild verwandelt. Hier, in der Formensprache ist er eindeutig und bezwingend. Das gilt auch für die 14 leuchtend blau umrandeten Schwarz-Bilder an der Wand und das fast schwarze Holztriptychon an der Stirnwand.
Delleg hat dem Raum zu einer neuen und klaren Gestalt verholfen. In den anderen drei Räumen des Kunstvereins präsentiert Michael Wiedemann Gemälde und Fotografien. Ganz im Gegensatz zu Dellegs Installation verweigern Wiedemanns Gemälde den emotionalen Zugang. Sie geben sich kühl: In den Ölbildern scheinen sich riesige Kreisformen zu überschneiden, deren Zentren weit außerhalb liegen. Man sieht dicht an dicht gesetzte Linienspuren, mal heller, mal dunkler, die wohl gestischen Ursprungs waren, aber alles Spontane hinter sich gelassen haben. Nun zählt nur noch das exakte Zumalen. Mitten in diese Linienstrukturen sind dicht ausgemalte Kreise hineingesetzt, die wie ausgeschnitten wirken.

Die Bilder gewinnen dadurch Plastizität und Gegensätzlichkeit: Zwei Prinzipien ringen miteinander. Wiedemann stellt sich als ein Mann der geplanten Malerei vor. Eine völlig andere Seite offenbart Wiedemann in seinen Fotos von sonst übersehenen Motiven. Sie sind grandios in ihrer Normalität. Oder gibt es hier doch Berührungspunkte mit der Malerei?
HNA 8. 2. 1991

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