Der Rückblick auf eine Legende

Das documenta Archiv in Kassel nimmt sein 40-jähriges Bestehen zum Anlass, um in einer Ausstellung an die documenta zu erinnern, die zur Legende geworden ist: Szeemanns documenta 5 von 1972.

KASSEL Wie soll ein Archiv seinen Geburtstag feiern? Indem es sich und seine Schätze ausstellt? Das könnte leicht langweilig werden für diejenigen, die sich nicht in die Tiefe der Forschung begeben wollen. Also wählte das Kasseler documenta Archiv einen anderen Weg: Anlässlich seines 40-jährigen Bestehens bereitet es eine Ausstellung vor, in der es beispielhaft an einer documenta demonstrieren kann, aus welchem Fundus es schöpft und dass es nicht nur rückwärts gewandt arbeitet. Ausgewählt wurde die documenta 5 (d5) von 1972, die zu einem Markstein in der Ausstellungsgeschichte geworden ist. Das hat mehrere Gründe. Die d5 war die erste Ausstellung der Ära nach Arnold Bode, der als documenta-Vater gilt. Es war zudem die erste documenta, in der sich mit Harald Szeemann ein Einzelner als künstlerischer Leiter durchsetzte. Und es war die Ausstellung, die einen umfassenden Überblick über die Bildwelten vermittelte und dabei die Künstler vorstellte, die für die nächsten 25 Jahre bestimmend bleiben sollten. Szeemanns documenta war heftig umstritten, auch handelte sich der Schweizer Kurator Ärger ein, weil er (bei viel zu kleinem Etat) ein Defizit von 800000 Mark hinterließ. Aber je länger die d5 zurücklag, desto deutlicher wurde ihre Leistung. Mittlerweile ist sie zur Legende geworden. Das von Archiv-Leiterin Karin Stengel vor zwei Jahren zaghaft begonnene Ausstellungsprojekt (Titel: Wiedervorlage d5) gewann dadurch an Gewicht, dass Szeemann, der in diesem Jahr die Biennale von Venedig zum zweiten Mal leitet, seine Unterstützung zusagte. Er stellte eigene Archivunterlagen zur Verfügung. Vor allem wird er zu der Tagung Wiedervorlage d5 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar (23. bis 25. November) kommen, an der auch documenta-Leiter Okwui Enwezor teilnimmt, für den ebenfalls die d5 ein Schlüssel-Ereignis ist. In der Ausstellung, die vom 4. November bis 30. Dezember im Domizil des Kunstvereins im Fridericianum zu sehen sein wird, sollen fünf thematische Räume mit Texten, Bildern und Archivalien der documenta von 1972 zu sehen sein. Inszeniert wird die Schau von einem jungen Kuratorenteam der Städtischen Galerie Nordhorn, das die Szeemann-Ausstellung selbst nicht gesehen hat, also die documenta 5 aus heutiger Sicht gewichtet. Das Team hat dazu fünf jüngere Künstler (Stephen Craig, Sabine Groß, Christian Jankowski, Michel Majerus und Tobias Rehberger) eingeladen, die mit ihren Werken künstlerische Kommentare zu der Ausstellung geben. Außerdem ist eine Passage durch die Ausstellung geplant, in der punktuelle Bezüge zu den anderen documenten hergestellt werden. Ein Katalogbuch wird im Cantz Verlag (220 S., 48,90 Mark) erscheinen. Das von der Europäischen Union geförderte und mit einem Gütesiegel der Unesco ausgezeichnete Projekt wird schließlich durch eine Schau der documenta-Filme seit 1972 (15. bis 18. November) ergänzt. Das documenta Archiv Zwei Jahre nach der zweiten documenta wurde 1961 das documenta Archiv gegründet. In erster Linie ging es darum, die Ausstellungsunterlagen, Korrespondenzen und Kritiken zur documenta systematisch zu sammeln, zumal es damals noch keine dauerhafte Geschäftsstelle gab. Bald erweiterte sich der Aufgabenbereich des Archivs. Es wurde zu einer der größten Spezialbibliotheken mit heute 50000 Katalogen, 25000 Monographien, 150 Zeitschriften und 250000 Presseausschnitten ausgebaut. Allerdings vollzog sich dieser Ausbau nicht bruchlos. Immer wieder gab es führungslose Zeiten und Rückschläge. Die Stadt Kassel sah sich mit der Führung des Archivs zuweilen überfordert, und hätte es gerne dem Land übertragen oder in die Obhut der Kunsthochschule abgegeben. Das documenta Archiv ist im Kulturhaus Dock 4, Untere Karlsstraße 4, untergebracht. Es umfasst neben dem Archiv und der Bibliothek eine Artothek mit 200 Originalen zum Ausleihen und eine Videothek mit 2000 Künstler-Videos, 20000 Dias, 7000 Fotos und 2000 Künstlerporträts. 0561-7874022.
HNA 17. 10. 2001

Schreibe einen Kommentar