Wenn Kunst schon nicht von Können kommt, dann kommt aber wenigstens Kunstkritik daher. Den Beweis dafür erbringt jetzt die FAZ, die auf ihrer Feuilleton-Titelseite vom 24. 11. die Schau der abstrakten Bilder von Gerhard Richter im Kölner Museum Ludwig würdigt (bis 27. Februar). Weil Gerhard Richter mittlerweile weltweit zu olympischen Ehren gelangt ist und sein ständiges Wechsel- und Versteckspiel der Stile nicht mehr in Frage gestellt werden kann, hat nun Feuilletonchef Patrick Bahners selbst zur Feder gegriffen. Er setzt zum poetischen Höhenflug an und offenbart neue Erkenntnisse über die Kunst: „Er muss die Hand vom Bild abziehen, sonst würde es nie fertig.“ Dies bekräftigt er ein paar Zeilen weiter: „Der Maler, so scheint es, konnte die Hand nicht von der Tafel nehmen“. Und endlich treibt er dem Höhepunkt zu: „In einem Verfahren, das alles Planen vermeidet, solange das Malen noch im Gang ist, wächst der Entscheidung, wann die Hand von der Tafel zu nehmen ist, ein noch nie dagewesenes Gewicht zu.“
Aber warum ist es so dringend geboten, die Hand von der Tafel zu nehmen? Weil das Bild fertig werden muss und die Materialien, mit denen Richter umgeht, so gefährlich sind: Hat man Bahners Artikel (Ja, mach nur keinen Plan) gelesen, erkennt man erstmals welche Untiefen und Gefahren in Richters abstrakter Malerei stecken. Wörtlich heißt es nämlich in der Kritik, in der der Autor Richters Technik beschreibt, die Bildfläche mit Übermalungen zu versiegeln: „Es waltet eine Sorgfalt wie bei der Abdichtung von radioaktivem Material, obwohl für den Überzug offenkundig nur Elemente zur Hand sind, die ihrerseits strahlen. An manchen Stellen zeigen Durchbrüche wie auf Abbildungen im Schulbuch die vielfach geschichtete Innenhaut des Reaktors.“
Besorgt fragt man sich da, ob Richters abstrakte Bilder überhaupt ausgestellt werden können oder nicht besser aus Sicherheitsgründen in Gorleben entsorgt werden müssen. Auch beginnt man zu zweifeln, ob Richters Bilder abstrakt genannt werden dürfen, wenn sie „wie auf Abbildungen im Schulbuch“ die Innenhaut des Reaktors zeigen.
Bahners poetischer Höhenflug ist damit nicht beendet. Kurz bevor er zur Landung ansetzt, steigt er noch einmal steil nach oben: „In der Absage an die Illustration liegt allerdings beschlossen, dass Kommunikation über das hier zur Darstellung Gebrachte keinen Sinn hat. Man kann sich nicht darüber verständigen, was zu sehen ist. Einsam steht man davor, schräg versetzt wie Caspar David Friedrichs Mönch am Meer, der nach der Berechnung von Werner Busch eben nicht den goldenen Schnitt markiert, und staunt über das Wunder einer zweiten Natur, das Dürer nach dem Lob des Erasmus wie Apelles gemalt haben soll: Wolken auf der Wand.“
Ist das nicht sagenhaft, wie in einem Satz die ganze Geistes- und Kunstgeschichte eingefangen wird, nachdem lapidar festgestellt wurde, dass man sich über Richters abstrakte Bilder nicht verständigen könne?! Ein neues Kapitel der Kunstbetrachtung wird aufgeschlagen. Danke, Herr Bahners.