Daniel Knorr – Ausstellung/Performance „Scherben bringen Glück“ in der Kunsthalle Fridericianum
Der Ergeschossraum im östlichen Flügel der Kunsthalle Fridericianum ist zum Saal der Scherben geworden. In seiner Ausstellung „Deutsche Grammatik“ hatte der Schweizer Christoph Büchel ihn in einen Raum des Unheils, der Barbarei verwandelt. Man betrat einen fast dunklen Raum, in dem zerstörte Vitrinen standen und gesplittertes Glas zu sehen war. Die Kunst bestand darin, dass die Besucher den Albtraum eines zerstörten Museums erlebten. Es war das Ende der Kunst und ihrer Bewahrung.
Nun beherrscht wieder zerbrochenes und gesplittertes Glas die Szene. Der aus Rumänien stammende und in Berlin lebende Künstler Daniel Knorr (Jahrgang 1968) ist aber, was seine Materialien angeht, weit entfernt vom Museum. Ihm geht es nicht um das Ende der Kunst, sondern um deren Neubeginn. Aus dem Schutt der Zivilisation, aus den Flaschen und Gläsern, die klirrend in Glascontainern gelandet sind, sucht er die Scherben, die er verarbeiten und veredeln kann. Vor den Augen der Besucher, die in seine Ausstellungs-Performance „Scherben bringen Glück“ kommen, formt er mit handwerklichem Geschick aus Gläsern und Bügeln skurrile Brillen, die in der Form noch niemand gesehen hat. Es sind absurde Brillen. Sie sind splittrig und deshalb gefährlich. Und sie versperren oder verzerren den Blick auf die Welt. Es sind Kunst-Stücke, die das sehen verhindern.
In seiner Eröffnungsrede erinnerte Kunsthallen-Direktor Rein Wolfs an die historischen Dimensionen von Plünderung und Scherben – an die Progromnacht, in der die Nazis jüdische Gotteshäuser und Geschäfte zersörten und in Brand setzten und die sie zynisch Reichskristallnacht nannten. Die Glascontainer, aus denen Knorr seine Scherben holt, scheinen nicht in das Bild zu passen. Aber die Brillen mit ihren merkwürdig gebrochenen Gläsern tun es umso eindringlicher. Sie lassen an die unzähligen Opfer und die Brillenberge denken.
Und wieder sind die Museumsvitrinen da. In neuem Glanz bergen sie die von Daniel Knorr gefertigten ebenso absurden wie faszinierenden Brillen. Es ist, als würde man die Ausgrabungsfunde verschütteter Kulturen betrachten. Daniel Knorr dreht in gewisser Weise das von Büchel in Schwung gesetzte Rad weiter: Wie die Scherben aus dem geplünderten Museum landen die Flaschen und Gläser im Müll, um dann gesichtet und neu verwendet und zum Kulturgut verabeitet zu werden. Daniel Knorr setzt das Museum wieder ein, das Christoph Büchel als zerstört vorstellte.
Mag sein, dass sich dieser Zusammenhang eher zufällig ergeben hat. Aber ihn herzustellen, bietet sich an, zumal Knorr 2005 in der Biennale von Venedig in radikaler Weise mit dem Ausstellungsraum gespielt hatte. Er war eingeladen worden, den rumänischen Pavillon zu gestalten. Unter dem Titel „European Influenza“ aber ließ Knorr den Pavillon komplett leer. Man konnte und musste ihn ebenso mit Gedanken über die Grippe wie über die Möglichkeiten der Kunst füllen.
Noch eine andere Beziehung lässt sich zwischen Büchels „Deutscher Grammatik“ und Knorrs „Scherben bringen Glück“ herstellen. Das sind die Gerüche: Büchels Inszenierung beeindruckte ganz besonders dadurch, dass sie den kleinbürgerlichen Mief und den Gestank von abgestandenem Fett und anderen Küchengerüchen entfaltete und dadurch eine neue Ausstellungsdimension eröffnete. Auch in Knorrs Raum riecht es – nach Alkoholresten und gegorenen Säften. Der Alltag, aus dem die Scherben wie Teile eines Kunstwerkes geborgen werden, macht sich als ein Mix aus Gerüchen in dem Raum breit.
Denn Knorr ließ die Eröffnungsbesucher teilhaben an seinem Arbeitsprozess: Wie zwei Glocken hingen ein weißer und ein brauer (runder) Glascontainer unter der Decke des Raumes. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm stürzten schließlich die Flaschen und Gläser zu Boden, nachdem die Bodenklappen der Container geöffnet worden waren. Es sollte kein Zweifel entstehen, woher die Scherben kommen, die Daniel Knorr erst wässerte, dann trocknete und nach Farben sortierte. Doch die Container sind mehr als nur Transportmittel. Knorr ließ jeweils zwei Container an der Bodenseite miteinander verschrauben, so dass sich Formen ganz neuer Art ergaben. Diese Formen lassen einen an überdimensionale Kapseln denken oder an U-Boote oder an vielfach vergrößerte Minen. Drei dieser Riesenkapseln beherrschen jetzt den Raum.
7./8. 12. 2008