Fundstücke (2) – Balkenhol und das Raucher-Problem

Patrick Bahners (FAZ) scheint mein Lieblingskritiker zu werden. Er ist der Mann, der Dinge zusammenbringt, die nicht zusammengehören und der das Universum mit seiner gesamten Geschichte im Blick hat, wenn er über die Späne spricht, die der Bildhauer Stephan Balkenhol nicht weghobelt. So entstehen Sätze, die gemeißelt sind wie Marmorstatuen. Nichts bringt sie ins Wanken.

Schuldbewusst gebe ich zu, dass ich mir angesichts der Holzfiguren von Balkenhol noch nie die Frage gestellt habe, warum diese Menschen keine Zigaretten in den Händen halten. Anlässlich der Balkenhol-Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen weist Bahners in der FAZ vom 2. 1. 2009 endlich auf dieses Kardinalproblem der Kunst des 21. Jahrhunderts hin. Ich darf zitieren:

„Gälte an öffentlichen Orten ein gesetzliches Rauchverbot, fielen die Figuren Stephan balkenhols gar nicht mehr auf. Denn dann wären es ja die Nichtraucher, die von Zeit zu Zeit am Straßenrand Position bezögen, vom Staatsmoralkodex zum Nichtstun und Herumstehen verdammt und nur wegen ihres Atemluftgeschmacks genötigt, sich als Abweichler zu exponieren. So, wie es ist, können Balkenhols Abgestellte in Bankfoyers und vor Behördentüren, ins Auge fallen, weil sie keine Zigarette in der Hand haben. Sie haben überhaupt nichts in er Hand, diese handgemachten Verkörperungen des Subjekts, das gelassen dasteht, weil es weiß, dass es aus den anonymen Prozessen der modernen Gesellschaft nicht wegzunken ist…“

Ist schon jemals so schlüssig, umfassend und endgültig Balkenhols Werk vor dem Hintergrund des Raucher-Problems gedeutet und und enträtselt worden? Wohl kaum. Dank Bahners erfahren wir außerdem, dass bei Balkenhol die – in der Renaissance begonnene – Einführung der isolierten Statue zum Abschluss gebracht worden sei.

Doch auch die Arbeitsweise Balkenhols erscheint in völlig neuem Licht: „Man sieht dem Werk des Bildhauers an, was weggehauen wurde. Dieses Gesetz der Skulptur hat Balkenhol zum Prinzip seiner Arbeit gemacht mit der Entscheidung für sein Material: Holz.“ Durch eben dieses Arbeitsprinzip stellt sich auch eine Nähe zu den christlichen Reliquien ein: „Im Zurichten durch Zuhauen knüpft er an die Volkskunst an. Wie im Mittelalter die Leiber der Heiligen, deren Integrität doch eschatologisch garantiert war, zerteilt wurden, damit jede Gemeinde einen Knochensplitter erhielt, so verbürgen die Späne, die Balkenhol nicht weghobelt, die Lebenskraft des Bildes.“ War sich der Künstler beim Weghauen und Stehenlassen der Späne dieser religiösen Dimensionen bewusst?

Aber Bahners gibt auch neue Welträtsel auf, so, wenn er kurz vor dem Schluss über Balkenhols Holzskulpturen schreibt: „Tatsächlich stehen die Figuren in der coolen Haltung von Sammlern in der Kulisse der Opulenz.“ Noch Fragen?

6. 1. 2009

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