Nays documenta-Raum für die Schirn rekonstruiert

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Zu den am meisten beachteten und umstrittensten Beiträgen zur documenta III (1964) gehörten neben dem Raum für den Amerikaner Sam Francis die drei documenta-Bilder von Ernst Wilhelm Nay, die schräg unter die Decke gehängt worden waren. Die Gemälde, die heute dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gehören, sind bisher nie wieder in dieser Form gezeigt worden. Jetzt aber, 35 Jahre nach dem Bilderstreit in Kassel, wird anlässlich der Ausstellung des Spätwerks von Nay in der Frankfurter Schirn (22. Januar – 26. April) der documenta-Raum mit den Bilder von Nay rekonstruiert. Dieser Raum wird ein Höhepunkt der Frankfurter Schau sein.

Nays documenta-Raum in Frankfurt rekonstruiertDas Besondere an dem Nay-Beitrag war, dass er allein auf Initiative von Arnold Bode zustande kam. Bode plante als einen Schwerpunkt der documenta III die Abteilung „Bild und Skulptur im Raum“. In ihr sollte sichtbar werden, dass die Kunstwerke, Skulpturen wie Gemälde, ihren spezifischen raum und Umraum brauchten. Die Werke sollten über ihre Gestalt hinaus in den Raum wirken.

Bereits bei seiner ersten documenta (1955) war Bode ungewöhnliche Wege gegangen. Er hatte nicht mit schwarz-weißen Kontrasten und bühnenartigen Vorhängen gearbeitet, sondern auch einige Gemälde wie Objekte behandelt. Der Kritiker Rudolf Lange schrieb in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: “ Hier wurden ein paar Säulen weiß gekalkt, dort schwarz gestrichen, hier hängen Gemälde an der Wand, dort stehen sie auf unauffälligen Metallständern: Immer wieder wird das Auge aufs neue überrascht…“

Arnold Bode war der große Inszenator. Auf seiner einfallsreichen, aber auch eigenwillig-selbstherrlichen Umgangsweise mit den Kunstwerken beruhte auch der Erfolg der documenta von 1955. Nun aber, neun Jahre später, wollte Bode die Maler zu seinen Verbündeten machen und mit ihnen gemeinsam ausprobieren, wie die Bilder über dich hinaus in den Raum wirken konnten. Im Vortwort zum Katalog der documenta III schrieb Bode: „Daher versuchen wir nun, Räume zu schaffen und Raumbezüge herzustellen, in denen Bilder und Plastiken sich entfalten können, in denen sie sich nach Farbe und Form, nach Stimmung und Strahlkraft steigern und verströmen.“

Dabei schlugen Bode und Haftmann einen Weg ein, der heute im Ausstellungsbetrieb normal ist, damals aber ungewöhnlich war: Für einzelne Räume wurden Werke bei einigen Künstlern bestellt. Werner Haftmann erläuterte das Verfahren am 14. 10. 1963 in einem Brief an den Maler Rupprecht Geiger: „… Ihre Vermutung betreffend die Auftragserteilung durch DOCUMENTA stimmt insofern, als wir wirklich gern Künstler anregen möchten, für bestimmte räumliche Situationen und am Ort etwas zu machen. Für regelrechte ‚Aufträge‘ ist unsere finanzielle Decke zu kurz….“

Für den in Köln lebenden Maler Ernst Wilhelm Nay entwickelte Bode eine ganz spezielle Idee: In einem relativ schmalen, langgezogenen Raum sollten schräg unter die Decke drei großformatige Gemälde gehängt werden. Nay sollte sie eigens dafür malen.

Nay wollte anfangs nicht

Aber Nay war anfangs von der Idee wenig begeistert, wie ein Brief von Haftmann an Bode vom 8. Oktober 1963 verrät: „Die Vorstellung eines Deckenbildes in Deinem ‚musée-pilote‘ leuchtet ihm nicht ein. Er fürchtet auch, dass ihm Dekorativismus vorgeworfen werden könnte, was ihn im Augenblick sehr treffen würde. Für eine Wand wäre er unter Umständen zu haben, wenn man ihm die Situation schmackhaft machen könnte. Er lehnte jedenfalls die Idee nicht ab, ohne aber besonderen Enthusiasmus zu zeigen. Dabei bemerkte ich, wie schwer es ist, eine bestimmte Konzeption, die man nur in Grundzügen kennt, einem Maler verlockend zu machen.“

Haftmann drängte Bode, bald direkt nach Köln zu fahren und mit Nay zu sprechen: „Das Terrain ist präpariert. Vielleicht fängt er gar Feuer und malt Dir irgendetwas für Dein ‚Musée-pilote’….“
Den Äußerungen Haftmanns ist zu entnehmen, dass er selbst von dem Plan und solcher Auftragskunst wenig hielt. Vor allem wird klar, dass nicht die (noch nicht) gemalten Bilder den Umraum brauchen, sondern dass der gedachte Raum nach speziellen Bildern verlangt.

Doch Bode war nicht zu bremsen. Er warb um Nays künstlerische Mitarbeit und machte Vorschläge für die Formate (4×4 Meter) und die Farbfolge. Am 16. 12. 1963 schrieb Bode an Nay: „Ich wünsche so sehr, – daß Sie die Raumbilder malen! Mir scheint es, daß wir wieder den Raum und geistigen Ort für das Bild gefunden hätten!… 3 Bilder im Raum als Raumbilder in der Farbfolge! Diese Lösung hat das Besondere, daß das Bild C = über dem Durchgang liegt! Also nie durch die Passage der Beschauer verdeckt wird. Scheint mir die beste Lösung!…“

Nay machte schließlich mit – vielleicht auch deshalb, weil sein Wunsch erfüllt wurde, seinen Raum direkt naben dem von Sam Francis zu erhalten. Werner Haftmann hatte nämlich in seinem Brief an Bode vom 8. 10. 1963 berichtet: „Dabei sieht er sich ganz gern in der Nähe von Sam Francis und Rothko, Namen, die Du im Gespräch als ungefähre Nachbarn kennst. – Mit anderen Namen sei lieber zurückhalten…“

Nays Raumbilder gehörten schnell zu den prominentesten Werken der documenta III – bewundert und heftig kritisiert. Nays Furcht vor dem Vorwurf des „Dekorativismus“ erwies sich nicht als unbegründet. Die Inszenierung, so meinten Kritiker, mache sich die Bilder untertan. „Das Bild wird zum Mittel, mit dem eine, was ihren Anspruch angeht, ziemlich problematische Raumwirkung erzielt wird,“ schrieb am 24. 7. 1964 der Kritiker Lothar Orzechowski in der Hessischen Allgemeinen. Auch wurde kritisiert, dass, wenn man von der „falschen“ Seite in den Nay-Raum kam, man nicht die Malerei, sondern die Rückseiten der Bilder sah.

Allerdings waren auch im Umfeld des Künstlers nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden. So schrieb Otto Grossmann am 16. 10. 1964 an Nay: „Eine gewisse Diskrepanz, unter der die Bilder leiden, liegt wahrscheinlich darin begründet, daß der Raum, der in den Bildern wirksam ist, ein anderer als der perspektivische Raum ist, in dem sie gehängt sind, wobei die konventionelle Perspektive des langgezogenen Raumes durch die Fluchtlinien unterstrichen wird, die sich aus der Schräghängung der Bilder und der sich daraus ergebenden Verjüngung nach hinten ergeben. Dadurch entsteht eine Verwirrung….“

Im Anschluss an die documenta III entwickelte sich ein heftiger Streit um die Bedeutung von Nay und seiner Malerei. Dabei war der Anlass, die ungewöhnliche Hängung, schnell vergessen. Zum Widerspruch rief vor allem die Tatsache heraus, dass Nay durch die originelle Präsentation zu dem überragenden deutschen abstrakten Maler erklärt worden war. Es waren die Kunstkritiker und -theoretiker Hans Platschek und Klaus-Jürgen Fischer, die beide auch Maler waren, die mit besonderer Heftigkeit gegen Nay polemisierten.
Ein paar Zitate:

Hans Platschek am 4. 9. 1964 in der „Zeit“: „Offensichtlich ist, daß Nay Segenssprüche hervorruft und das, was er malt, auf den Händen getragen, anstatt an die Wand gehängt und angeschaut wird… Nicht Bet-Teppiche stehen schließlich zur Debatte, sondern Bilder.“

Klaus-Jürgen Fischer am 5. 11. 1964 im „Tagesspiegel“: “ Der Maler Ernst Wilhelm Nay ist deshalb zu einem „Fall“ geworden, weil seine unaufhörliche Exponierung das deutlichste Symptom für die chronische Schwäche eines immer fester umreißbaren Lagers unserer kunstkritischen und kunstfördernden Intelligenz darstellt, für die die ästhetische Kategorie der bildnerischen Ordnung, Klarheit und Disziplin nicht existiert.“ Und weiter: „Dennoch gilt die Regel: Je verworrener mythisch-expressiv ein Bild im farbigen, formalen und technischen Aufbau, desto mehr Chancen hat es, desto mehr Chancen hat es, von deutschen Kunstauguren als potent und bedeutend betrachtet zu werden.“

19. Januar 2009