Neue Galerie auf neuen Wegen

Sammlungsteile im Schloss Wilhelmshöhe – Akzent auf documenta-Kunst

So soll die Galerie ab 2011 aussehen - mit Beuys-Bäumen Max Slevogt, Max Liebermann Richard Hamilton, Otto Freundlich

Die 1976 eröffnete Neue Galerie an der Schönen Aussicht ist seit dem Herbst 2006 geschlossen. Das Gebäude wurde 2007 von der documenta 12 genutzt und wird seit 2008 generalsaniert. Gerade eben hat das Haus mit seinen Oberlichtsälen ein zusätzliches Dach erhalten, damit die Dacherneuerung auch im Winter fortgeführt werden kann.

Die Neue Galerie, in der früher die jetzt in Schloss Wilhelmshöhe gezeigte Gemäldegalerie Alte Meister zu sehen war, ist in den 70er-Jahren als ein Museum geplant worden, das im späten 18. Jahrhundert einsetzt und Malerei und Skulptur vom Klassizismus bis zur Gegenwart präsentiert. Den Beginn markierten bisher die Bilder der Tischbein-Familie – nicht nur deshalb, weil diese weit verzweigte Malerfamilie aus dem nordhessischen Haina kommt, sondern vor allem, weil Johann Heinrich Tischbein als Kasseler Hofmaler auch erster Direktor der hiesigen Akademie (1777 gegründet) war. Während die Galerie Alte Meister davon profitiert, dass Landgraf Wilhelm VIII. kenntnisreich eine international beachtete Sammlung zusammentragen konnte, dokumentieren die Bestände der Neuen Galerie, dass weder die Fürsten noch später die öffentliche Hand im 19. und in weiten Bereichen des 20. Jahrhunderts eine gezielte Sammlungspolitik betrieben. Internationale Spitzenwerke sind im 19. Jahrhundert die Ausnahme, zuerst überwiegen die regionalen Sammlungskomplexe; und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts können nur punktuell (vornehmlich deutsche) Werke die Kunstentwicklung der Moderne andeuten. Um zur Gegenwart hin die riesige Lücke zu füllen, holte der damalige Kunstsammlungsdirektor Erich Herzog 1976 die Sammlungen Krätz und Herbig mit Spitzenwerken der internationalen Moderne der 60er-Jahre in die Neue Galerie. Längst sind die Sammlungen abgezogen, geblieben sind nur der Beuys-Raum mit „The Pack“ (Das Rudel), sowie einzelne Bilder wie von Polke und Hödicke.

Karl Hofer, Alexej von Jawlensky, Georg Muche Alexander Kanoldt, Berto Ladera Sigmar Polke, Joh. Heinrich Tischbein

Der Verlust der Sammlungen wog deshalb nicht so schwer, weil die Stadt Kassel und das Land Hessen endlich ab 1982 Sondermittel bereitstellten, um regelmäßige Ankäufe aus der documenta zu ermöglichen. Allerdings kann man da nur begrenzt von einer gezielten Ankaufspolitik sprechen, da nicht nur für die jeweilige documenta charakteristische Werke ausgesucht wurden, sondern auch darauf geschaut wurde, was in den Sammlungsbestand der Neuen Galerie passe. Das funktionierte bei der letzten großen Malerei-documenta (1982) sehr gut. Auch die Ankäufe von 1987 (vorwiegend Skizzen, Modelle und Fotos zu Außenarbeiten) sowie die Bilder, Skulpturen und Installationen aus der documenta 1992 entsprachen dem Geist der Ausstellungen. Die Berücksichtigung der Sammlungsbestände führte aber zu dem Kuriosum, dass 1997, als die Malerei in der documenta kaum eine Rolle spielte, Bilder von Kurt Kocherscheidt und Pierre Soulages angekauft wurden, die mit der documenta X überhaupt nichts zu tun hatte.

Das war spätestens der Zeitpunkt, an dem sich ein Konflikt um die Ankaufspolitik der Neuen Galerie abzuzeichnen begann. Verstärkt wurde der Konflikt dadurch, dass die Fotografie und Videokunst, die zu zentralen Ausdrucksmitteln der Künstler in den letzten 20 Jahren geworden waren, bis vor kurzem kaum wahrgenommen wurden. Der Streit erreichte 2008 seinen Höhepunkt, als der scheidende Direktor Michael Eissenhauer die Neue Galerie davor warnte, sich den „Versuchungen der elektronischen Kunst auszusetzen“. Dabei hatte er selbst mit dazu beigetragen, dass aus der documenta 12 auch Foto- und Videoarbeiten angekauft wurden.

Nun ging das 2003 angedachte Konzept für die Museumslandschaft Hessen Kassel davon aus, dass die Neue Galerie zu einem Haus der Moderne ausgebaut werden solle. Bereits 2002 hatte die Leiterin der Neuen Galerie, Marianne Heinz, im Text des Kataloges der „documenta-Erwerbungen“ von einem Ausbau des Museums zu einem „Haus der Moderne“ gesprochen. Wie ernst wird dieses Ziel genommen, wenn es gleichzeitig heißt, die Kunst es 19. Jahrhunderts solle weiterhin Basis der Neuen Galerie bleiben? Denn: Wo ist dann der Platz für die mitttlerweile doch recht umfängliche documenta-Sammlung sowie für weitere Erwerbungen und möglicherweise auch Leihgaben zur Auffüllung der Kunst der 50er- und 60er-Jahre und der frühen Moderne? Erste Äußerungen des neuen mhk-Direktors Bernd Küster, die Neue Galerie werde nicht in ein Museum der Moderne umgewandelt, schienen die Zweifel an der Neuausrichtung zu nähren.
Andrea Geyer Ernst Wilhelm Nay, Arnulf Rainer Ai Weiwei

Deshalb durfte man gepannt sein auf die Ausstellung „die neue galerie – auftritt im schloss! auf dem Weg zur Wiedereröffnung 2011“, die bs 10. April 2010 im 2. Stock von Schloss Wilhelmshöhe gezegt wird. Gibt die Schau Einblick in die Präsentation, die wir in zwei Jahren in der Neuen Galerie erwarten dürfen? Die Antwort ist zweigeteilt, denn natürlich kann eine so kleine und punktuelle Auswahl nicht vermitteln, welches Gesicht die Sammlung haben wird. Gleichwohl geben Auswahl und Hängung ein Gefühl für den Umgang mit der Sammlung und damit für das künftige Konzept.

Die Schau strahlt drei essentielle Botschaften aus.

1) Die Kunst des späten 18. Jahrhunderts, für die die Gemälde der Tischbein-Familie stehen, wird nicht wieder in die Neue Galerie zurückkehren, sondern der Gemäldegalerie in Wilhelmshöhe zugordnet.
Damit wird ein wesentlicher historischer Teil abgetrennt, so dass der Spielraum für die Moderne größer wird. Diese Feststellung gilt, auch wenn inmitten der Gemälde das Porträt der Marianne Pernette von Johann Heinrich Tischbein hängt. Das Bild befindet sich sozusagen auf Abschiedsbesuch bei der neueren Kunst.

2) Man kann mit einer Sammung auch ganz anders umgehen.

Im Grunde ist die Schau in klassischer Weise chronologisch und nach Stilen gehängt: Impressionismus, Klassische Moderne, Informel, Pop-art, Konkrete Malerei, monochrome Malerei. Doch jedes kleine Kabinett wird gesprengt. Ein großformatiges Beuys-Porträt schmuggelt sich in den Impressionismus, Richard Hamiltons Foto-Malerei-Bild gibt in der Klassischen Moderne ein Gastspiel, und das Tischbein-Porträt ist in der Pop-art zu finden. Solche Brechungen und Widerhaken wirken belebend und herausfordernd. Vertraute Werke lernt man ganz anders zu sehen. Das Modell ist nicht ohne weiteres auf das umgebaute Museum übertragbar. Es sollte aber ernsthaft zum Anlass für erfrischende und unkonventionelle Präsentationsformen genommen werden. Dabei dürfte wichtigster Gesichtspunkt sein, die Neueinrichtung nicht auf Dauer anzulegen, sonden in der Sammlung häufige Wechsel zu ermöglichen.

3) Die Neue Galerie öffnet sich den Neuen Medien.

Auch wenn die Foto- und Video-Arbeiten an einer Hand abzuzählen sind, gewinnen sie eine starke, übermächtige Präsenz. Die Sammlung wirkt mit Blick auf die Neuen Medien offener, als sie tatsächlich ist. Dabei sind die Installationen nicht aufdinglich. Aber sie sind einfühlsam und findungsreich aufgestellt beziehungsweise inszeniert. So wirkt die Video-Installation „El Dorado“ von Danica Dakic jetzt klarer (theatermäßiger) als während der documenta 12. Dieser überzeugende Umgang mit den Neuen Medien lässt hoffen.

K.H. Hödicke, Gerhard Richter (Bode-Porträt) Louis Kolitz, Lovis Corinth Joseph Beuys, Alexej von Jawlensky, Georg Muche, Hannah Höch

In dem kleinen Katalog, der die Ausstellung begleitet, heißt es im Ausblick auf die künftige Entwicklung der Neuen Galerie, Fotografie und Videoinstallationen „bleiben nicht augespart“. Das ist eine Absage an die frühere Position, doch ist das Bekenntnis eher distanziert und klingt fast leidend. Die Art und Weise, wie die entsprechenden Arbeiten vorgeführt werden, spricht zum Glück eine andere Sprache. Deshalb wird man über die künftige Entwicklung der Neuen Galerie noch diskutieren und streiten müssen, zumal in dem Ausblick der Beharrungssatz steht, auch in Zukunft werde der Schwerpunkt der Erwerbungen bei der Malerei liegen. Was ist aber, wenn die Malerei nur eine untergeordnete Rolle spielt – oder sich im Geist der Leipziger Schule fern der ungegenständlichen und monochromen Malerei bewegt?

Die Sonderschau, die dringend notwendig war, weil die Neue Glerie in Gefahr stand, vergessen zu werden, fordert geradezu zur Diskussion über das neue Konzept heraus. Immerhin hat sich eine kleine, bisher unsichtbare Tür, die zu einem offneren Konzept führt, geöffnet.

19. 11. 2009

siehe auch:

, 21. 11. 2009

Danica Dakic Claes Oldenburg Marcellvs L.

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