Neue Galerie auf neuen Wegen (2)

Täuschung oder Versprechen?

Warum eigentlich wirkt die Präsentation der Sammlung der Neuen Galerie im Schloss Wilhelmshöhe vergleichsweise so zeitgenössisch, obwohl das zur Zeit im Umbau befindliche Museum nicht nur die Kunst des 20. Jahrhunderts, sondern auch die Malerei und Plastik des 19. Jahrhunderts zeigen soll? An der Dominanz der aktuellen Video- und Fotoarbeiten allein kann es nicht liegen, dass die Sonderausstellung gar nicht so historisch (zugespitzt: rückwärtsgewandt) wirkt.

Die Antwort ist verblüffend. Sie ist mir erst beim zweiten Hinsehen eingefallen: Das 19. Jahrhundert, das auch künftig die Basis und einen Schwerpunkt der Neuen Galerie bilden soll, kommt praktisch in der Ausstellung im Schloss Wilhelmshöhe gar nicht vor. Gut, es gibt in der Sonderschau den wunderbaren „Wiesenhang“ von Gustav Courbet von 1862, doch die lockere, an den Rändern fast freie Malweise weist ebenso ins 20. Jahrhundert wie Auguste Rodins Plastik „Amor und Psyche“ (1886). Selbst das klassische Porträt von Louis Kolitz (1885) wird durch das daneben hängende impressionistische „Königstor“-Bild von Kolitz (1895/1900) in die erwachende Moderne hineingezogen.

Das früheste Bild in der Ausstellung, Johann Heinrich Tischbeins Porträt der Marianne Pernette (1762) lenkt geschickt von dieser Lücke ab, da es mit Ironie in der Pop-art platziert wurde und da die Tischbein-Familie und das 18. Jahrhundert künftig nicht mehr in der Neuen Galerie vertreten sein werden. Wenn das 19. Jahrhundert in der Sonderschau angemessen vertreten sein sollte, dann gehörten Casper David Friedrich und die Romantiker hinein, die Nazarener und die Düsseldorfer sowie die Münchner Schule, die Maler des Biedermeier und die Naturalisten und natürlich auch die im 19. Jahrhundert entstandene Willingshäuser Malerkolonie. Keine Achenbachs also und kein Defregger, kein von der Embde und kein Hummel, kein Nahl und kein von Rohden.

Wäre ein guter Anfang - Slevogt und Liebermann Kolitz und Corinth Starkes Bekenntnis zur Gegenwart: Videoarbeit von Marcellvs L.

Nicht, dass wir diese Künstler in dem Zusammenhang vermissen würden. Denn: Die bei den deutschen Impressionisten beginnende Auswahl ist für eine Sammlung des 20. Jahrhunderts überzeugend. Während man das Courbet-Gemälde als ein Vorspiel begreifen kann, sind Corinth, Liebermann, Slevogt und Baum gute Hinführer zur Moderne. Natürlich wird schmerzlich bewusst, dass die großen internationalen Namen in der Zusammenstellung gänzlich fehlen. Gleichwohl könnt man sich die in Wilhelmshöhe gezeigte Auswahl als ein hoffnungsvolles Versprechen vorstellen. Dieses Versprechen wirkt umso entschiedener, als den jüngsten Erwerbungen aus der documenta in der Ausstellung und im Katalog prominenter Raum zugestanden wurde.

Der Gedanke hätte großen Charme, wenn man sich die gezeigte Übersicht als ein Modell für die Neukonzeption der Neuen Galerie vorstellen könnte. Die einfallsreiche Hängung mit den Störfaktoren in den einzelnen Abteilungen (inmitten der Stilgruppen Bilder aus anderen Epochen) verstärkt dieses Gefühl.

Doch die offiziellen Erklärungen und auch der Katalogtext sprechen dagegen: Das 19. Jahrhundert soll weiterhin der Neuen Galerie zugeordnet werden. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die gezeigte Auswahl wie eine Ablenkung oder Täuschung. Das mag man natürlich nicht unterstellen, sondern eher hoffen, dass sich die die mhk selbst noch in der Diskussionsphase befindet und einfach einen neuen Ansatz ausprobieren wollte. Wenn aber für die Verantwortlichen feststeht, dass die Romantiker, Nazarener und Biedermeier-Maler den Auftakt machen sollen, ist die getroffene Auswahl nicht nachvollziehbar. Denn so wird die Abteilung, um deren Einbeziehung gestritten wird, in der Sonderschau ausgeklammert.

21. 11. 09

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