Kitsch, Pathos, Effekthascherei oder Kunst?

Die Ausstellung „Frontera“ von Teresa Margolles in der Kunsthalle Fridericianum – für die Kunstzeitung 2/2011
In der Eingangshalle der Kasseler Kunsthalle Fridericianum liegt auf dem Boden ein Stahlkubus, dessen Kanten 50 Zentimeter lang sind und der eine Tonne wiegt. Man ist schnell versucht, diesen Kubus als eine minimalistische Arbeit einzustufen und sie als eine rein ästhetische Skulptur links liegen zu lassen.
Doch man muss sich mit ihr inhaltlich auseinander setzen. Denn der Kubus ist ein Monument des Leidens. Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles (Jahrgang 1963) hat zur Herstellung dieser Form Betonstahl zusammengekauft, der aus den im Drogenkrieg zerstörten und dann abgerissenen Häusern stammt. Das Zusammenpressen und Einschmelzen des sperrigen Stahls ist dabei zum übersteigerten Symbol des Leidens der Menschen geworden, die einst in den Häusern lebten.
Teresa Margolles hat mit ihrer Ausstellung „Frontera“ das Fridericianum in ein eindringliches Mahnmal verwandelt. Schon von weitem ist das erkennbar: Alle Fenster im ersten Obergeschoss sind nach außen mit grau-braunen Leinwänden verhängt, die Erde, Blut und andere Körperflüssigkeiten in Nordwest-Mexiko aufgesogen haben.
In unterschiedlichen Formen klagt die Künstlerin die tödliche Gewalt des Drogenkrieges und die Selbstzerstörung der mexikanischen Gesellschaft an. Allerdings arbeitet sie mit derart reduzierten ästhetischen Mitteln, dass man ohne die Begleitinformationen die schrecklichen Dimensionen gar nicht erahnen würde. Andererseits ist es so, dass sich viele der Besucher, wenn sie die Zeugenschaft der Arbeiten erkannt haben, durch die Unmittelbarkeit der Todesatmosphäre unangenehm berührt werden: Hier tropft Leichenwaschwasser von der Decke, das auf heißen Stahlplatten verdampft und der Dunst die Besucher umhüllt, dort steht ein Stück Mauer, vor der vier Jugendliche erschossen wurden, und da zieht sich eine eingeschnittene Linie durch die Wand, in die Körperfett Ermordeter gedrückt wurde.
Die Allgegenwart des Todes wird erdrückend. Auf der anderen Seite fasziniert, wie es der Künstlerin gelingt, fern aller plakativen Mittel, jeden, der die Objekte, Bilder, Videos und Installationen gesehen hat, in die Auseinandersetzung mit der mexikanischen Wirklichkeit zwingt.
Kunsthalle Fridericianum, Kassel, bis 20. Februar, Mi-So 11-18 Uhr, vom 27. Mai bis 21. August Museum Bozen.

Zu einer Diskussion in der Kunsthalle Fridericianum

Mir selbst war gar nicht bewusst, wie sehr die Margolles-Ausstellung im Fridericianum als Wagnis, Grenzüberschreitung oder Tabubruch empfunden wurde. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich zuerst wahrgenommen habe, wie sehr sich die Mexikanerin auf den Dialog mit der Kunst, auf die Auseinandersetzung mit der Malerei und der minimalistischen Skulptur einlässt, um mit Hilfe dieser Formensprache ihre Anklage des massenhaften Mordens an der mexikanisch-amerikanischen Grenze vorzutragen. Der Kubus und die graubraunen Leinwände sind für mich erst einmal eine Skulptur und Bilder und dann erst Zeugen einer unglaublichen Gewalt.

Der Stahl der Abrisshäuser Blut und Boden oder Malerei? Verdampfendes Leichen-Waschwasser Einschüsse in der Mauer

Deshalb entstand für mich auch gar nicht die Frage, ob die Vorstellung, dass da reales Leichen-Waschwasser verdampfe oder wirkliches Körperfett von Ermordeten in den aufgeschnittenen Spalt einer Wand im Fridericianum geschmiert sei, der Ausstellung und damit mir einen besonderen Kick gebe. Es war der Psychologe Ernst-Dieter Lantermann, der in einer Diskussion über die Ausstellung den Vergleich zu den „Körperwelten“ zog, die weltweit die Massen in ihren Bann ziehe – weil das Bewusstsein, dass hier die auf Sehnen, Muskeln und Organe reduzierten Menschen vorher wirklich gelebt hätten. Lantermann sieht also die Ausstellung zwischen Kitsch und Effekthascherei (die zu einer guten Marktposition verhelfe). Ästhetisch ist die Ausstellung für ihn belanglos.
Diese Äußerungen gaben der Diskussion Würze. Der Kulturpolitiker Klaus Ostermann hatte zuvor auf die im Grundgesetz verbriefte Kunstfreiheit verwiesen und der Ausstellung bescheinigt, dass sie etwas Nachhaltiges in ihm bewirkt habe. Diese Einschätzung teilte eine junge Frau, die mit zwei Schulkassen in der Ausstellung war und die berichten konnte, wie stark die Schülerinnen und Schüler sich auf die Arbeiten und die von ihnen transportierten Probleme eingelassen hatten.
Eine vorzügliche Interpretation der Ausstellung trug die Theologin Eveline Valtink vor. Aus ihrer Sicht hat die Künstlerin im Sinne des Strafrechts wirkliche Grenzverletzungen vorgenommen, um mit dem kleinen Skandal den großen Skandal öffentlich zu machen. Aber sie habe da an die katholische Reliquienverehrung angeknüpft – mit dem Unterschied, dass nicht Körperteile von Heiligen, sondern von Opfern präsentiert würden. Überhaupt sieht sie die Ausstellung nach den Regeln einer sakralen Inszenierung aufgebaut.
Für Rein Wolfs hat es die Künstlerin verstanden, mit ästhetischen Mitteln Konflikte sichtbar zu machen. Er räumte aber ein, dass die Doppel-Videoprojektion von der Performance mit Schülern auf Schulhöfen (um die Dimensionen der Mordtaten hinzuweisen) die schlechteste Arbeit in der Ausstellung sei und die Grenzen des Pathetischen erreiche.
In der Tat ist diese Arbeit sehr didaktisch. Aber auch pathetisch? Für mich nicht.
Aber wenn schon von der schlechtesten Arbeit die Rede ist, muss man auch die beste und dichteste erinnern, in der ästhetische Sprache und das Zeugnis der Gewalt eins werden. Das ist der Kubus, der in der Eingangshalle steht.

3. 2. 2011

Schreibe einen Kommentar