Auf den Hund gekommen – CCBs Kalender

Es ist das wohl verrückteste documenta-Projekt, das jemals realisiert wurde. Die Leiterin der dOCUMENTA (13), Carolyn Christov-Bakargiev, hat zur Einstimmung auf ihre Ausstellung einen Wand- bzw. Aufstellkalender für 18 Monate (April 2011 – September 2012) herausgebracht, in dem fast ausschließlich Hunde von beteiligten Künstlern und Kuratoren zu sehen sind. Lediglich Dora Garcia und Simryn Gill tanzen aus der Reihe: Sie präsentieren gemeinsam auf dem Blatt für Januar 2012 Fotos ihrer beiden Katzen.

Dass die documenta-Leiterin eine Liebeserklärung an Hunde abgeben würde, war seit der Neugestaltung der documenta-website zu erwarten. Dort ist seitdem eine Rubrik „Dogs“ zu sehen, unter der man liebenswürdige und satirische Texte zu Hunden findet. Diese Rubrik war anfangs versteckt. Nun aber sind die Hunde nicht zu übersehen. Nachdem erst auf „Titelseite“ der documenta-website ein Foto von Arnold Bode zu sehen war und dann ein Bild von Penones Bronzebaum in der Karlsaue (mit weidenden Schafen), erblickt man jetzt als Signalfoto den Hund King Kong (von Apichatpong Weerasethakul), wie er anscheinend schlafend – neben zwei hoch gelegten nackten menschlichen Füßen – halb aus einem Hundekorb heraushängt.

Hunde-Kalender

Auf dem Blatt für Mai 2011 posiert der niedliche weiße Hund (Darsi – mit den Pfoten auf der Notebook-Tastatur) der documenta-Leiterin, begleitet von der Frage, welches Wissen und welche Gefühle er habe, an die sie sich nicht erinnere. Überhaupt sind die meisten Fotos mit kurzen Kommentaren oder Fragen versehen. Wenn man mit dem Lesen der Kurzkommentare im April 2011 beginnt und dann Monat für Monat bis September 2012 vordringt, merkt man, dass sie aus einer Feder fließen und fortlaufend zu lesen sind. Neben dem Foto von Dodik, dem Hund von Alexander Tarakhovsky, steht die Eingangsfrage, wie wir unser Denken davon befreien können, immer nur auf den Menschen ausgerichtet zu sein. Die Hundebilder scheinen zu diesem Umdenken zu drängen.

Der Frage nach dem Denken und Fühlen von CCBs Hund Darsi folgt neben dem edlen Bild von Loba (Hund von Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla) die Nachfrage: …oder die ich falsch abgelegt habe?

Während Hund Lattoo seinen Kopf über ein aufgeschlagenes Buch hält, fragt die Kalendermacherin: Wie können wir eine Allianz schmieden zwischen der fortgeschrittensten Recherche und den ältesten Formen des Wissens?
Kurios und provokant die August-Frage: Warum spreche ich nie über Kunst, da Kunst doch die Sache ist, die ich am meisten liebe?

Auf dem November-Blatt geht es dann zur Sache: Was kann die documenta bieten? lautet die Frage. Dazu sieht man links ein Foto von einem kleinen Schosshund, dessen Besitzer sich unter einem Tuch verbirgt. Der andere Hund wird von seiner Besitzerin vor dem Meteoriten El Chaco hochgehoben. Beide Fotos stammen aus der Werkstatt von Faivovich und Goldberg.

März bis Juli 2012 muss in einem Zug gelesen werden:
Was wird von uns bleiben?
In welcher Beziehung befinden wir uns im Belagerungszustand?
In einem Zustand der Hoffnung?
Auf dem Rückzug?
Und wenn es eine Bühne wäre?
Und so weiter

Die Fotos selbst sind höchst unterschiedlich. Es gibt beiläufige und unauffällige Aufnahmen, aber auch ausgefallene wie die bereits erwähnte von Alexander Tarakhovsky, auf der eine Meeresoberfläche abgebildet ist und unten links in der Ecke das neugierig-vorwitzige Hundegesicht von Dodik hervorlugt. Unübertrefflich freilich ist das Foto von Giuseppe Pepone, der seine Hündin Rubina fotografierte, als sie elf kleine Welpen säugte.

Gestaltet wurde der Kalender von der Agentur Leftloft, die für das äußere Erscheinungsbild der dOCUMENTA (13) zuständig ist. Die Agentur setzte zur Farbunterlegung der Schwarz-Weiß-Fotos dieselben wohltuenden Pastelltöne ein, die auch die Notebook-Reihe kennzeichnen. Carolyn Christov-Bakargiev schreibt in ihrem kurzen Vorwort, dass sie mit diesem ungewöhnlichen Kalender die Tier-Mensch-Beziehungen vorstellen möchte, die zur Kunstszene gehören, die aber meist verborgen sind. (Dabei fällt mir eine Begegnung mit dem Künstler Flatz vor der DOCUMENTA IX ein, der zum Interview in einem Café am Bahnhof Wilhelmshöhe ein, zu dem er seine riesigen Hund mitbrachte, der auf den Namen Hitler (Hitler, Platz!) hörte) Die documenta-Leiterin lädt dazu ein, die Kalenderblätter herunterzuladen und auszudrucken. In der Tat hat man innerhalb einer halben Stunde einen außergewöhnlichen Wandkalender in der Hand.

Am Ende des Kalenders findet man zwei Blätter, auf denen Emails von solchen Künstlern, Beratern und Agenten zitiert werden, in denen es heißt: „sadly I must say….“ oder „No dogs at all“.

Auf dem letzten Blatt schließlich steht ein Grundbekenntnis der documenta-Leiterin. Sie schreibt: Die dOCUMENTA (13) umfasst Kunst, Wissen, Unterhaltungen, Fehler, Meteoriten, Kassel, Theorie, Raum, Feminismus, Biologie, Anthropologie, Samen, Agenten, Berater, Nahrung, Hunde, Liebe. Das heißt: Die Hunde gehören also zum Wichtigsten der menschlichen Beziehungen – aus dem Blickwinkel von CCB.

Darüber hinaus umreisst Carolyn Christov-Bakargiev mit einigen wenigen Strichen das Bild der documenta, an dem sie arbeitet: 2012 werden Künstler und andere Teilnehmer aus aller Welt eine Vielzahl künstlerischer Praktiken präsentieren, die Skulptur, Installation, Performance, Malerei, Fotografie, Film, Text gestützte und Audio-Arbeiten ebenso einschließen wie andere Experimente in den Bereichen von Ästhetik, Kunst, Politik, Film, Literatur, Wissenschaft und Ökologie.

Der Kalender spaltet die Welt in Hunde- und Nicht-Hunde-Liebhaber. Nun bilden die Hunde-Liebhaber gewiss die Mehrheit in der Gesellschaft. Ob das aber auch innerhalb der Kunstwelt ebenso gilt, ist die Frage. Auf jeden Fall öffnet der Kalender indirekt ein weiteres Fenster, aus dem man Teilnehmer der dOCUMENTA (13) erblicken kann.

Der Kalender ist schnell ausgedruckt. Er soll aber auch in richtig gedruckter Form mit Spezialpapieren, Spiralbindung und lackierten Bildern erscheinen. Kostenpunkt: 13 Euro.

2. 5. 2011

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