Kunst ohne Geschichte

So recht verstanden hat der Bildhauer Arno Breker nie, warum der Kunstbetrieb der Nachkriegszeit ihn ausgesperrt hat. Mitglied der Nationalsozialistischen Partei sei er nie gewesen, hat er stets versichert, und ein politischer Künstler schon gar nicht. Warum also werde ihm dauernd nachgetragen, daß er der Lieblingskünstler Hitlers gewesen sei? Habe er nicht durch seine international gefragte Arbeit seit 1945 bewiesen, daß er ein über die Zeiten hinweg wirkendes Werk geschaffen habe?
Genau in diesem Denken offenbart sich der Grundfehler, dem Breker erlegen ist. Ein Künstler wie er, der an der Seite des Führers Profil gewann, und der mit seinen Monumentalplastiken wie „Partei“ und „Wehrmacht“ die nationalsozialistische Ideologie bildlich ausformte, kann nicht einfach von der Geschichte absehen und sich ins Unpolitische flüchten. Hätte Arno Breker, der jetzt 90jährig in Düsseldorf starb, jemals seine Verstrickung in die Kunst- und Propaganda-Politik der Nationalsozialisten eingestanden, hätte er es sich selbst leichter und seinen Kritikern schwerer gemacht.
Materiell gelitten hat Breker unter dem Bannfluch der zeitgenössischen Kunstszene nie. Im Gegenteil. Der aus (Wuppertal)Elberfeld stammende Steinmetz-Sohn darf mit Sicherheit zu den erfolgreichsten deutschen Bildhauern der Nachkriegszeit gerechnet werden. Mit den besten Empfehlungen wurde er als Porträtist durch die Vorstandsetagen von Wirtschaft und Politik gereicht. Dabei profitierte Breker natürlich davon, dass die marktgängige Kunst der 50er, 60er und 70er Jahre das traditionelle Porträt verleugnet oder zumindest vernachlässigt hatte. Wahrscheinlich störte es auch nur wenige der Porträtierten, dass ihre Namen in einer Festschrift zu Arno Brekers 80. Geburtstag in einer Reihe mit denen von Goebbels, Göring und Hitler auftauchten.
So sehr sich Breker und sein großer Freundeskreis auch mühten, gelang es ihnen nicht, sein künstlerisches Schaffen vom Schatten der Vergangenheit zu befreien und auf die Ebene der zeitlos-klassischen Bildsprache zu heben. Das hatte aber nicht bloß kunstpolitische Ursachen: Brekers Versuch, der Geschichte auszuweichen, hatte auch ganz unmittelbare Folgen für sein künstlerisches Schaffen. Er, der sich dem „Dreiklang der Schönheit von Körper, Geist und Seele“ verpflichtet fühlte, war mehr und mehr zum Sklaven der Form geworden. Die Schönheit vieler seiner monumentalen Büsten und Plastiken verkürzte sich zur kalten Glätte. Vieles geriet in die Zonen des Kitsch – wie etwa die Plastiken der Sportler Walter Kusch und Ulrike Meyfahrth.
Insofern wäre es sicherlich ein Irrtum zu meinen, Brekers wahre Bedeutung würde sich schon beweisen, wenn nur genügend Distanz zur Nazi-Zeit erreicht sei. Denn auch in der Kunst lassen sich nun einmal die Gesetze von Geschichte und Geschmack nicht außer Kraft setzen. Und da darf man nicht übersehen, dass der Bildhauer, der sich selbst in einer Linie von der Antike über Michelangelo bis hin zu Rodin sah, mit vielen seinen Arbeiten Verrat an der Tradition beging, die er zu bewahren vorgab. Dabei hatte es in seinem Werk durchaus geniale Ansätze gegeben; im Frühwerk waren sogar expressionistische Brüche zu erkennen gewesen.
Der Versuch des Kunstmäzens Peter Ludwig, für Breker die Museen wieder zu öffnen, scheiterte vor einigen Jahren. Dafür löste dieser Vorstoß eine Grundsatzdiskussion um die Nazi-Kunst aus. Inzwischen ist aber, fast unbemerkt, ein Museum im rheinischen Nörvernich zum Pilgerort für Breker-Fans geworden.
HNA 16. 2. 1991

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