In einer Wanderausstellung wird das Werk des Frankfurter Künstlers Claus Bury vorgestellt. Seine „Architektonischen Skulpturen“ sind jetzt in Gotha zu sehen.
Der größte Ausstellungsbeitrag steht in Gotha vor bzw. hinter dem Schloß Friedenstein. Es handelt sich um die Holzskulptur „Im Turmblick“, die Claus Bury (Jahrgang 1946) 1993 als ersten (und bisher einzigen) monumentalen Beitrag zum Gothaer Skulpturenprojekt verwirklichen konnte. Sie bot auch den Anlass für das Gothaer Museum, sich an der in Essen gestarteten und noch nach Darmstadt und Ludwigsburg führenden Wanderausstellung zu beteiligen.
Die begehbare und zum Sitzen einladende Skulptur ist auf die beiden mächtigen Schlosstürme ausgerichtet: In ihren Schrägen und Rundungen nimmt die pyramidenähnliche Arbeit die unterschiedlichen Formen der beiden Türme auf. Damit ist ein wesentlicher Aspekt von Burys Schaffen schon benannt. Der Künstler entwickelt die Konzepte für seine Projekte stets im Dialog mit dem Ort, für den sie geschaffen werden. Seine aus Leimholz gebauten Skulpturen öffnen Durchblicke und Zugänge, sie spiegeln Formen, die vorhanden sind und bieten zugleich phantastische Fluchtpunkte. Es sind Bauwerke, die an Tempel erinnern und an Pyramiden, die Himmelstreppen ähneln und Türmen, die Schiffsrümpfen gleichen oder aufgeschnittenen Kugeln.
Claus Bury hat viele Anregungen in sich aufgenommen, antike Bauformen und Konstruktionen aus dem Alltag der Landwirtschaft; er hat sie verarbeitet und überrascht mit Erfindungen, die an Bekanntes anknüpfen und doch faszinierend neu sind. Das zweite entscheidende Element in Burys Werk ist das Maß: Aus einer einmal gewählten Grundeinheit wird systematisch der Gesamtkomplex entwickelt. Dabei nimmt er häufig (wie auch beim Gothaer „Turmblick“) den Körper des Menschen als Modul. Alle Arbeiten sind auf den Menschen bezogen. Damit ist der dritte wesentliche Punkt berührt Burys Holzskulpturen erinnern nicht bloß an monumentale Bauwerke, sondern sie bieten sich als solche auch an. Die „Architektonischen Skulpturen“ sind Erlebnisräume, die neue Raumerfahrungen vermitteln und die immer wieder mit ihren Sitzbänken im Innern zur meditativen Ruhe einladen.
In der Ausstellungshalle von Schloss Friedenstein können die Besucher an zahlreichen Modellen nachvollziehen, welche phantastischen Bauwerke Bury bereits verwirklichen konnte. Obwohl jeder Arbeit ihr ureigenes Baugesetz zugrunde liegt, ist die durchgängige Handschrift unverkennbar. An den Wänden werden die Modelle ergänzt durch Ideenskizzen, Entwurfszeichnungen und malerischen Studien. In diesen Bildern offenbart sich eine zweite künstlerische Natur:
Während die Skizzen und Konstruktionszeichnungen rein dienenden Charakter haben, gehen die mit Bleistift, Gouache und (manchmal) Ölstift gestalteten Blätter darüber hinaus. Die häufig braun in Braun gehaltenen Bilder vergegenwärtigen die Volumen der Skulpturen, die Wirkung der plastischen Formen. Sie sind aber unabhängig davon eigenständige Bilder, kraftvolle Malerei.
HNA 20. 10. 1994