Der Maler und sein Raum

Als sich Ende der 70er Jahre eine neue Malergeneration lautstark zu Wort meldete, war Holger Bunk (Jahrgang 1954) von Anbeginn einer ihrer wichtigen Wortführer. Er studierte damals zwar noch an der Düsseldorfer Kunstakademie, doch in den Ausstellungen, an denen er sich beteiligte, drängte sich seine Malwut ganz unmittelbar den Betrachtern auf; auch war nicht zu übersehen, dass er bereits eine eigene künstlerische Handschrift gefunden hatte.
Jetzt, fast ein Jahrzehnt später, stellt Bunk ein schon geschlossenes Werk im Kasseler Kunstverein vor, das die Erwartungen bestätigt, die früher in ihn gesetzt wurden. Sehr schnell merkt man allerdings, dass heute bei ihm mit Schlagworten wie „wild“ oder „heftig“ nichts zu holen ist.
Bunk ist ein Maler durch und durch, Doch stets dachte er über die Bildfläche hinaus, suchte er eine Beziehung seiner Malerei zum Raum. Einerseits schuf er aus malerischen Elementen Rauminstallationen, andererseits versuchte er, in seinen Bildern neue Raumsituationen zu gestalten.
Die Gemälde sind von einer überraschenden Offenheit: Man blickt häufig in ungewisse Räume, die sich ihrerseits zu dahinterliegenden Welten öffnen. Diese Räume erscheinen wie Bühnen, weil sich fast immer eine beherrschende menschliche Figur in den Vordergrund drängt. Dennoch verraten diese Um- und Außenwelten viel von der Sichtweise des Malers: Obwohl er mit den Mitteln des Realisten arbeitet, begnügt er sich nicht mit der fotografischen Wirklichkeit, er schaut durch die vor uns liegenden Räume hindurch, reduziert sie auf Farbwerte und sucht in ihnen Öffnungen, Türen und Fenster, um jenseits dieser Durchbrüche ganz andere Wirklichkeiten sichtbar zu machen – greifbare Straßenszenen oder bloß malerische Projektionen.
Indem Bunk malt, setzt er sich mit der Beziehung des Künstlers zu der Wirklichkeit und ihren verschiedenen Ebenen auseinander. Es ist eine Malerei, der man ihr ungestümes Daherkommen anmerkt, die aber zur Ruhe gekommen ist. Wie zielsicher Bunk seine künstlerische Botschaft formuliert, wird in der zentralen Arbeit sichtbar, in der er ganz auf die Farbe verzichtet: Da hat er einen nach einer Seite offenen Würfel geschaffen, den er mit dünner, transparenter Leinwand bespannt hat. Auf diese Leinwand hat Bunk mit Kohle in sechs Abteilungen sechs Durchgänge gezeichnet, in den jeweils eine Figur steht. Ein verschlungenes Band stellt die Verbindungen zwischen den Türelementen her. Darüber spannt sich ein ebenfalls transparentes Dach mit vier Gesichtern und ornamentalen Zeichen.
Die Raumbilder sind ebenso von außen wie von innen zu erleben – sicherlich eine Idealprojektion des Künstlers: Die durchsichtige Leinwand als Ziel, die Unendlichkeit des Raums – das sind Themen, die in vielen Bildern Bunks anklingen. Der Künstler ist dennoch in erster Linie ein Menschenmaler. In seinen Zeichnungen kann man studieren, wie er immer neue Zugriffe zur Figur, zum Porträt sucht. Rastlos gestaltet er die Formen, beginnend im Randbereich der Karikatur und enderid in der fast freien Malerei. Einer Kohle-Zeichnung von 1987 gab Bunk den Titel „Menschenskulptur‘. Darin verbirgt sich ein Programm, denn die gemalten Figuren, oftmals der Künstler selbst, drängen sich wie Monumente ins Bild, unbeholfen zwar, aber mit heldischem Anspruch.

HNA 27. 4. 1988

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