Der Museumsraum ist ein Kunstraum. In ihm wird Kunst gezeigt. Aber ist der Raum selbst auch kunstvoll gestaltet, entspricht seine Qualität den Ansprüchen, die an die Werke gestellt werden? Selten, in den meisten Fällen überhaupt nicht. Zu den meisten Fällen ist die Neue Galerie zu rechnen, die zwar über ein paar Oberlichtsäle verfügt (und sich dadurch als Galerie auszeichnet), deren Innenarchitektur aber so viele Bruchstellen und unvereinbare Elemente birgt, dass jede Installation, die den Raum einbeziehen will, auf größte Schwierigkeiten stößt.
Martin Brüger, der von 1988 bis 1994 an der Kunsthochschule Kassel studierte, hat diese Situation erkannt und durchschaut. Als er die Aufforderung erhielt, in der Reihe „Kunst im Kasseler Raum“ seine Arbeiten zu zeigen, ließ er seine fertigen Stücke im Atelier und entschied sich, im großen Souterrainsaal die Neue Galerie sich selbst ausstellen zu lassen. Damit blieb er seiner ureigenen Arbeitsweise treu. Denn Brügers Fotoarbeiten und Wandobjekte zeichnen sich dadurch aus, dass er Alltagsstrukturen aufspürt und ihnen Zeichen- und Objektcharakter gibt. Durch kleine unmerkliche Eingriffe verwandeln sich normale Schrankelemente in Reliefs und Skulpturen, wobei die gewöhnlichen Oberflächen die Objekte befremdlich erscheinen lassen.
Für seine Arbeit in der Neuen Galerie ist Brüger mit der Kamera durch das Erdgeschoss der Neuen Galerie gegangen und hat Raumdetails dokumentiert, die die Besucher gemeinhin nicht wahrnehmen oder übersehen – störende Leisten und Kanten oder Teppichbodenlandschaften mit einem verlorenen Sessel, kurz, die ganze Umgebung, gegen die sich die Gemälde und Plastiken behaupten müssen.
Die Fotos, die Brüger so aufgezogen hat, dass sie vor der Wand Objektcharakter gewinnen, wirken aber nur auf den zweiten Blick entlarvend. Zuerst einmal adeln sie das Unbedeutende, schaffen eine Aura genau dort, wo sie nicht existiert. Gesteigert wird diese Veredelung dadurch, dass Brüger die Wände segmentweise mit den Farben einfärben ließ, die die Ausstellungsräume im Erdgeschoss kennzeichnen.
Auf diese Weise ist eine atemberaubende Installation (ergänzt durch reale Einrichtungsgegenstände aus der Neuen Galerie) entstanden, die zu den besten Arbeiten in dieser Reihe gehört: Wir erleben eine in sich stimmige Inszenierung, deren Botschaft es ist, unseren Blick für das Banale zu schärfen.
HNA 17. 3. 2001
Der unbedeutende Raum wird geadelt
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