Bode-Preis an Maria Eichhorn

KASSEL. Es ist eine mutige Entscheidung zugunsten einer Künstlerin, die mit einem ungewöhnlichen Werk in der Documenta 11 vertreten ist: Die 1962 in Bamberg geborene und in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn erhält den Kasseler Arnold-Bode-Preis des Jahres 2002. Sie zeigt im Museum Fridericianum die Dokumentation zu ihrer „Maria Eichhorn Ak- tiengesellschaft“.
Es handelt sich um eine nach allen Regeln gebildete Aktien- gesellschaft (AG), in der Maria Eichhorn der Vorstand ist und Okwui Enwezor der Vorsitzende Aufsichtsrates. Die AG ist für Documenta 11 gegründet
worden. In Textprojektionen auf die Wand ist nachzulesen, welchen Bestim- mungen die mit einem Kapital von 50 000 Euro ausgestattete AG unterliegt. Alle Texte (bis hin zur Eintragung ins Handelsregister) kann man auch in ausliegenden Heften nachlesen.
Was ist daran Kunst, wenn man eine Aktiengesellschaft gründet? Nun, Maria Eichhorn hat in allen Punkten die Bestim- mungen beachtet, in dem ent- scheidenden aber den Grundge- danken auf den Kopf gestellt: Die Eichhorn-AG darf keinen
n machen, und ihr Kapi- tal —il nicht in den Umlauf kommen. Für alle sichtbar liegt das Kapital hinter einer Glasscheibe im Ausstellungsraum.
Damit hat die Künstlerin ein Schlüssel-Phänomen unserer Zeit aufgegriffen und pervertiert: Während wir allabendlich gebannt im Fernsehen verfolgen, ob die Aktienkurse fallen oder steigen (selbst wenn wir keine Aktien besitzen), tritt hier nun eine AG auf, deren Wert eingefroren und unbeweglich ist.
Maria Eichhorn lenkt durch ihre Arbeit den Blick auf die Strukturen unserer Gesellschaft und die Fixierung auf das Ka- pital. Gleichzeitig stellt sie die Frage nach dem Werk und seinem Verhältnis zur Öffentlich- keit. Und indem sie die traditionelle künstlerische Arbeitsweise aufgibt und sich einem Wirtschaftsprojekt zuwendet, fragt sie auch nach den Bedingungen, unter denen Kunst entsteht.
Die Jury, die Maria Eichhorn den mit 10.000 Euro dotierten Bode-Preis zuerkannt hat, würdigt das „gesellschaftlich relevante Werk einer herausragenden Individualistin“.

HNA 16. 8. 2002

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