Welterbe – und nun?

Die Freude ist groß, und sie ist verständlich: Denn durch die Aufnahme in die Welterbeliste ist zu erwarten, dass nun der Bergpark Wilhelmshöhe, der Herkulesbau und die Wasserspiele international weit mehr Aufmerksamkeit als bisher auf sich lenken.

Also ist auch die Euphorie zu verstehen, mit der nun auf Postern, Fahnen und Plakaten verkündet wird: Wir sind Welterbe.

Wenn man allerdings immer wieder auf das gleiche Motiv und auf denselben, mittlerweile überstrapazierten Spruch (abgeleitet von „Wir sind Papst“) stößt, denkt man: Könnte die gewonnene Anerkennung nicht auch anders vermittelt werden? Denn gerade die unter den internationalen Schutz gestellte Anlage verlangt Ruhe und Beschaulichkeit. Sie gilt es immer wieder neu zu entdecken. Ihre Geheimnisse und ihr Zauber müssen im Wechsel der Jahreszeiten freigelegt werden. So stellt sich die Frage: Wie feiert man ein komplexes Natur-, Bau- und Technikdenkmal, das Teil einer geistigen (poetischen und philosophischen) Landschaft ist?

Das heißt: Was passiert nun, nachdem die Welterbe-Anerkennung errungen worden ist? Reicht es, auf die Touristenströme und den Geldsegen der Besucher zu hoffen, weil Kassel neben der documenta jetzt über eine zweite Weltmarke verfügt?

Das erste Wochenende nach der Unesco-Entscheidung zeigte, dass unabhängig von allen Sanierungs- und Restaurierungsaufgaben viele Probleme zu lösen sind. Möglicherweise muss zuerst das Verkehrkonzept für die Zufahrt zum Herkules und den Wasserspielen überarbeitet werden. Nicht der Ruf nach der Herkules-Bahn (die sich nicht rentieren würde) bringt die Lösung. Denn der jüngste Sonntag zeigte, dass auch der öffentliche Nahverkehr zusammenbricht, wenn ungebremst der Individualverkehr die Straße zum Herkules in Beschlag nimmt.

Aber auch die Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk.), die Trägerin des Bergparks ist, muss über den Umgang mit dem Park nachdenken. Dass die Anerkennung gefeiert werden muss, ist völlig klar. Zudem war es ein Glücksfall, dass das Bergparkfest so gelegt war, dass es sogleich zum Welterbefest umgewidmet werden konnte. Besser hätte die Planung nicht sein können. Trotzdem kam das Ausnahmeereignis nicht richtig zur Geltung, weil die Feier so organisiert war, wie Feiern immer aussehen: Bierpilze sowie Bierbänke und -tische, eine überdimensionale Bühne unter dem Portikus von Schloss Wilhelmshöhe, Verkaufsstände zwischen Ballhaus und Schloss und die übliche Mischung aus Märchen, Kinderliedern und anspruchsvoller Musik. Die Unterschiede zu Hessentag und Stadtfest waren nicht groß.

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Vor allem denke man an die Besucher, die bisher selten oder nie in Wilhelmshöhe waren: Aus der Perspektive der Menschen, die sich vor dem Schloss bewegten, konnten sie den Zauber des Bergparks gar nicht erleben, weil die Anlage, die sonst so sorgfältig gehütet wird, im weiten Umfeld des Schlosses gar nicht zu erfassen und zu würdigen war.

Geht es denn darum, möglichst viele Besucher möglichst lange in dem Areal zu halten, und vom Erfolg zu sprechen, wenn die Biertische voll besetzt sind? Oder soll auch noch bei Andrang verständlich gemacht werden, warum der Bergpark ausgezeichnet worden ist?

Natürlich sollen die Besucher auch versorgt und bewirtet werden – aber doch nicht gerade dort, wo man – mit dem Schloss im Rücken – den Blick auf die Kaskaden hat – oder umgekehrt. Die freie Sicht auf das Welterbe muss gerade an solchen Festtagen das oberste Gebot sein.

4. 7. 2013

Notwendiger Nachtrag

Nein, mit einem solchen Ansturm direkt nach der Erhebung zum Welterbe haben selbst die Optimisten nicht gerechnet. 8000 statt 3000 Besucher der Wasserspiele! Man sieht, was eine Etikettierung durch die Unesco ausmacht. Es zeigt aber auch, wie schwer es ist, Attraktionen zu vermitteln, wenn der Unesco-Titel nicht vergeben wird. Denn an den Wasserspielen selbst hat sich ja nichts geändert. Und schon ist der Punkt erreicht, an dem das Umkippen droht, wo die Menschenmassen zur Bedrohung der Parkanlanlagen werden.

Das Verkehrskonzept muss als erstes angegangen und überarbeitet werden. Bereits an den Autbahn-Toren Kassels und am ICE-Bahnhof müssen Zubringerdienste angekündigt und bereitgestellt werden. Bei aller freien Zugänglichkeit muss auch über einen Lenkprozess für die Besucher nachgedacht werden.

Etwa:
Parkgebühren rund um den Herkules und die Zufahrt zum Schloss.

Ausweitung der Wasserspiele in den Herbst und das frühe Frühjahr.

Ausbau der Angebote, um zu erreichen, dass die Besucher sich nicht bloß für die Wasserspiele interessieren. Zu denken wäre an Kombi-Führungen Herkules – Schloss Wilhelmshöhe.

Jetzt wird es Zeit, im Schloss (mit Sichtbeziehung zum Herkules) die Schausammlung zu erweitern, die mit der Mathologie des Herkules (Antikenabteilung) und die mit der künstlerischen Spiegelung der Kaskaden und des Oktogon zu tun haben.

Den Besuchern muss vermittelt werden, dass das Erlebnis der Wasserspiele bloß ein Einstieg ist.

Sollte mittwochs und sonntags der Ansturm so stark bleiben oder noch wanchsen, müsste auch über eine Kontigentierung (per Internet und mit einer Schutzgebühr) nachgedacht werden.

Oberstes Gebot ist: Wer zu den Wasserspielen kommt, muss die Inszenierung in Gänze erleben können.

Der Schlachtruf „Wir sind Welterbe“ bleibt nur dann erfolgreich, wenn die Qualität der Anlage nicht beeinträchtigt wird.

Kurios oder ärgerlich: Es gibt auch Trittbrettfahrer im Welterbezug. So stellte die CDU im Vorwahlkampf (Landestagswahl Hessen zeitgleich mit Bundestagswahl) Plakate auf mit dem Ruf „Hurra, Welterbe“. Waren denn die anderen Parteien dagegen? Primitiver geht es nicht.

22. 7. 2013

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