Die Suche nach dem Original

Susanne Pfeffer hat im Fridericianum in Kassel ihre erste Ausstellung eingerichtet. Unter dem Titel „Speculations on anonymous Materials“ hat sie 23 künstlerische Positionen aus aller Welt versammelt. Zentrales Thema ist die Frage, wie und wie weit die digitale Welt unser Leben, unser Verhältnis zu den Bildern und zu unserem Körper verändert hat. Wie sehr, so ist zu fragen, verschwindet hinter oder in der virtuellen Bilderwelt die handgreifliche Wirklichkeit? Haben wir heute überhaupt noch Zugriff auf das Original oder ist das Abbild des Originals nicht längst durch die digitalen Prozesse zu einem Tor zu einer zweiten oder dritten Wirklichkeit geworden, so dass wir es mit einer neuen Dingwelt zu tun haben?
Die Ausstellung ist bis 26. Januar im Fridericianum zu sehen (Di-So 11-19 Uhr, Donnerstag 11-20 Uhr. Bevor ich mich mit der Ausstellung ausführlicher beschäftigen kann, will ich hier einen ganz knapp assoziativ kommentierten Fotorundgang zugänglich machen und so mich der Ausstellung nähern.

Der Zufall will es, dass der im Fridericianum beheimatete Kasseler Kunstverein, der jetzt ebenfalls eine neue Leitung bekam, mit der Installation von Aram Bartholl auch die Internet- und neue Medienwelt zum Thema hat. Gleichwohl trennen Welten die beiden Ausstellungen: Bartholl stellt die neuen Medien-Plattformen vor und macht sie sich zunutze, die Ausstellung in der Kunsthalle hingegen setzt die Nutzung voraus und reflektiert das durch die digitalen Medien veränderte Leben. Die beiden Ausstellungen finden also auf verschiedenen Ebenen statt.

Ein neuer Stil kündigt sich an. Wo es innerhalb der Ausstellung unter die Haut geht, wird die Außenhaut (Wände) des Gebäudes zum Träger von Botschaften.

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Trisha Baga & Jessie Stead

Dank der 3D-Brille taucht man förmlich in die Videolandschaften ein, die ihr Chaos plastisch und handfest in den Raum übertragen. Dingwelt und Bilderwelt verschmelzen.

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Pamela Rosenkranz

Das reine Produkt (gesundes Wasser) soll gutes Leben und gesunde Haut ermöglichen. Doch die Künstler stellt die Welt auf den Kopf. Die Haut(farbe) durchmischt das Wasser und wird zum Malmittel. Der Reinheitswahn zerbricht an der Widerstandskraft der (Haut-)Wirklichkeit.

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Yngve Holen
Wir wollen fliegen, aber unsere Latschen sind angekettet. Der Ballast der Körper wiegt schwer, denn das rohe Fleisch ist zu Stein geworden. Das Leben hat sich im Scan verflüchtigt.

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Sachin Kaeley

Wir sind so sehr der digitalen Welt verhaftet, dass uns der Bezug zum Herkömmlichen verloren geht. Sachin Kaeley führt die digitale Schöpfung auf ihren Urgrund zurück: Die Acrylbilder sind mit dem Finger gemalt.

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Josh Kline
Wieder die Frage nach dem Wasser: Eine schwarze Wand, wasserabweisend; deformierte Wasserflaschen, die in ihren eigenen Inhalten gekocht sind. Und Badewasser-Essencen. Wird so unser Überleben gesichert? Doch ehe wir es uns versehen, sind die Gliedmaßen des Körpers und die Objekte zu Botschaftern einer anderen Wirklichkeit geworden. Die digitalen Kopien triumphieren.

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Timur Si-Qin

Die Wirtschaft überschüttet uns mit Produkten, die bis ins Feinste ausgetüftelt sind und in verführerischen Plastikflaschen verpackt sind. Schampoo-Flaschen von Axe, die für das Männliche stehen, wurden hier nun ausgequetscht. Timur Si-Qin führt diese Plastikwelt auf das zurück, was sie ist – auf den bloßen Schein. Die farbigen Seifenmassen, die von Gestellen heruntertropften, sind gerade gut genug, Bodenbilder zu ergeben.

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Ed Atkins
Ist diese Bilderwelt ein Spiegel unserer Wirklichkeit? Hinter dem verführerischen langen Haar blickt uns eine männliche Kunstfigur kalt an. Offenbar ist die Realität längst im digitalen Rausch fortgewirbelt worden.

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Daniel Keller
Ein Blick in die Zukunft. Wir stehen vor Modellen künstlicher Welten, die wirtschaftlich autark auf den Weltmeeren entstehen sollen. In diesen Visionen werden längst überwundene Utopien der 50er und 60er Jahre wiederbelebt.

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Ken Okiischi

Der blaue Bildschirm (Hintergrund), der in der Fernseh- und Videowelt einen neutralen (ausdruckslosen) Raum herstellen soll, wird in den Arbeiten von Ken Okiishi zum irritierenden Träger von Bildbotschaften. Die auf den Bildschirm aufgetragenen Malspuren lassen die Malerei sehr, sehr alt erscheinen.

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Antoine Catala

Wir ertrinken in der Bilderflut. Antoine Catala hat ein Vexierkabinett gestaltet, das einerseits uns die endlose Vielfalt der sogenannten schönen Bilder bewusst macht, das aber auch zeigt, dass wir am Ende wieder bei den Bildern landen, denen wir unsere Sehnsüchte anvertrauen – liebe Katzen, wohl schmeckende Katzen und attraktive Körper.

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Michele Abeles

Collagen bleiben auch im digitalen Zeitalter Collagen. Michele Abeles hat Kompositionen aus zahlreichen Schichten aufgebaut, die faszinieren können, die aber mit neuen technischen Mitteln das fortführen, was beispielsweise Richard Hamilton, ein Meister der sich selbst reflektierenden Bilderwelt, praktiziert hat.

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Aleksandra Domanovic

Wieder Hände, künstliche Hände mit sensorischen Fähigkeiten, entwickelt, als der virtuelle Raum noch unbekannt war, aber dann doch mit Hilfe virtueller Verfahren (3D-Druck) vervielfältigt. Aleksandra Domanovic erweist sich als das faszinierende Gedächtnis von Pioniertaten im ehemaligen Jugoslawien. Dazu gehört auch ein Video, das daran erinnert, dass es Wissenschaftlerinnen waren, die 1989 die Domain .yu registrieren ließen. Es gab auch ein Leben vor dem digitalen Zeitalter.

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John Rafman

Porträtbüsten? Skulpturen als Zeugen einer untergegangenen Kunst. Nein, plastische Software-Produkte, die uns lehren, dass sich auch im Virtuellen ganz konservativ modellieren lässt. Nach Rafman leben wir längst außerhalb unserer Realität. Sein Video erzählt von neuen Märchen und Mythen, die ihre eigenen Regeln aufstellen.

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Avery Singer

Es gibt sie also doch noch – die alte, alte Malerei? Ja, aufwändig geht Avery Singer vor und überträgt mühsam die Kompositionen in der Airbrush-technik auf die Leinwände. Doch die Bildräume und kubistischen Formen stammen aus Computer-Programmen. Aber auch, wenn Avery Singer die Bilderfindung von sich ins Digitale wegschieben will, bleibt die Urheberschaft in der Hand der Künstlerin.

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Tobias Madison

Wie Irrlichter scheinen die bläulichen Lichtprojektionen auf. Ebenen verschieben und überlagern sich. Die Video-Botschaft bleibt im Ungewissen. Umso massiver wirken die Schatten der Besucher, die die Bildräume beleben. Aber Madison bleibt auch ganz in der realen Welt, wenn er im nächsten Raum aus Kabeln und Lampenteilen eine Installation schafft, durch die der Strom fließen kann.

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Simon Denny

Das künstlerische Werk als Archiv. Ausgebreitet die Reihe der nach Jahren geordneten Dokumente eines Streits über einen vermeintlichen Retrovirus. Das Material digital vermittelt und auf Leinwand gedruckt, so dass das hergestellte Bild an Stelle von Malerei wie ein eine DVD-Hülle erscheint. Dann wieder richtige Malerei und ein Großbildschirm, der dunkel bleibt und schweigt. Ein komplexes Werk.

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Oliver Laric

Die Kopie einer Kopie einer Kopie. Da liegen sie, die Köpfe der antiken Helden, bis zur Unkenntlichkeit bemalt. Ach ja, die Marmorstatuen waren wirklich bemalt. Wirken die Köpfe realer und originaler als das, was uns die Kunstmenschen in dem Video von sich und ihrem Umfeld erzählen? Egal, der Bogen spannt sich über zwei Jahrtausende.

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Alisa Baremboym

Wie ein Blick in das Labor, aus dem Frankenstein hervorging: Gurtbänder und Hautgel, Latexrohre und Gummiseil, Körperabformungen (in Hautfarbe) und Plastiksäcke. Objekte, auf dem Weg, Skulpturen zu werden, die ebenso anziehend wie abstoßend sind. Blicken wir in einen Spiegel, in dem wir sehen, dass unsere Körperlichkeit aufgespalten und verflüchtigt hat?

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James Richards

Vielleicht verheißen uns die altmodisch erscheinenden Dia-Projektoren mit ihren Bildern Trost? Alles nur Theater, denn die vermeintlichen Verletzungen sind nur aufgeschminkt. Um die Ecke ein verstörender Film, bestehend aus an einander gefügten Filmschnipseln, die Gefühle und Stimmungen provozieren.

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Ryan Trecartin

Ja, hier fühlen sich viele wie zu Hause – in einer Welt, in der man selbst zum Dreh- und Angelpunkt der selbst gedrehten Videoaufnahmen werden kann. Das einstige Faszinosium selbst geschaffener Bilder wird zum Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt.

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Katja Novitskova

Illusion ist doch alles, auch in der digitalen Welt. Wir brauchen uns nicht mehr auf die Suche nach Motiven zu begeben. Wir müssen nur, so lehrt es Katja Novitskova, das, was uns gefällt, aus dem hochgezogenen Bild auszuschneiden und auf Aluminium zu drucken – und fertig ist der hyperrealistische Landschaftsausschnitt.

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GCC

Eine Künstlergruppe aus der Golfregion. Ihr mit leuchtenden Feuerwerksexplosionen durchsetztes Panoramabild, das die komplette Rotundenwand einnimmt, erzählt ein neues Märchen aus 1001 Nacht. Wir blicken in eine faszinierend groteske Standtlandschaft, in der die möglichsten und unmöglichsten Hochhäuser nebeneinander stehen. Die Welt ist in der Tat dort so verrückt, dass sich Vision und Realität gar nicht mehr trennen lassen. Den Preis, den die Gruppe ihrer eigenen Meinung nach dafür verdient hat, hat sie gleich als Kristallform mitgebracht.

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Kerstin Brätsch & Debo Eilers

Zwischen Grafitti und Bühnenmalerei. Hier eine sargähnliche Trage, dort grelle Malerei auf unter unter Plastikfolien. Das Wirkliche wird verdrängt durch das Künstliche. Wie so oft die unbeantwortete Frage: Setze ich mich dem noch mehr aus und bleibe oder flüchte ich? Aber ist unsere Realität so viel verheißungsvoller?

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