Lob der Wiederverwertung

5 Tage bis zum Ende der Kunst

Alles kommt wieder. Was für die Mode seit langem gilt, ist auch in der Kunst nicht unbekannt. Vor allem seitdem das Ende der Moderne propagiert worden ist, greifen zeitgenössische Künstler gern auf Ausdrucksmittel anderer zurück, um sie zu prüfen und wiederzuverwerten. Fast noch größer ist die Gruppe der Künstler, die sich der Alltags-bilder aus der Fotografie, des Films, der Werbewelt und neuerdings des Internets bedient. Sie lösen die Fundstücke aus den Zusammenhängen heraus, fügen sie neu zusammen und bearbeiten sie.
Für eine jetzt in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum gestartete Ausstellung hat die Kuratorin Solvej Helweg Ove¬sen zehn Künstlerinnen und Künstler ausgesucht, die ausschließlich auf den Prozess der Wiederverwertung setzen. Wie wir aus dem Umgang mit der vor 100 Jahren entwickelten Collage wissen, wirken die Arbeiten meist so frisch und kraftvoll, als ob nur für sich stehen würden.
Die Collagen von Kirstine Roepstorff, die am stärksten in der Tradition verhaftet sind, setzen gefundene Porträtbilder in Beziehung zu intensiven grafischen Mustern. Auf diesen schwarz-weißen Flächen werden die farbigen Porträts Prominenter zu reinem Spielmaterial. Es ist, als würde uns die Austauschbarkeit der Idole vorgeführt.
Wenn man den Film „All Wrong“ von Gabriel Lester sieht, glaubt man, eine fein komponierte Geschichte zu sehen und zu hören. Aus einem Guss ist allerdings nur der Text, der aus einem Drehbuch stammt. Das Bildmaterial hingegen hat sich Lester mit Hilfe von Google komplett aus dem Internet heruntergeladen. In dem Augenblick, in man das wahrnimmt, erkennt man, welcher schöpferischer Fundus im Internet steckt.

Ebenso faszinierend ist die Filmcollage von Martha Colburn, die sich der Filmschnipsel aus der Werbung, der Starwelt und des Irak-Krieges bedient. Martha Colburn karikiert in boshafter Weise den (chirurgischen) Schönheitskult, indem sie Gesichter zu Fratzen übermalt und mit Nähten übersät. Der Film ist zugleich eine Liebeserklärung an die Kraft der Malerei.

Schon beim Eintreten in die Kunsthalle werden die Besucher mit einer nicht sichtbaren Arbeit von Tino Sehgal konfrontiert. Beim Kauf der Eintrittskarte wird ihnen eine Schlagzeile aus unserer Zeitung zitiert. Einordnen können sie die rätselhafte Botschaft allerdings nur, wenn sie nachfragen.

So vereinigt die Ausstellung eine Fülle von Werken, in denen Vertrautes auf unvertraute Weise wiederkehrt. Die radikalste Umformung nimmt Lucas Ajemian vor: Er lässt den Song „Into the Void“ von Black Sabbath von einem Orchester und einem Sänger Note für Note und Wort für Wort rückwärts vortragen.

Die Ausstellung ist der erste Beitrag zu einer Reihe, mit der René Block einen neuen Weg beschreitet und sich zugleich als Kunsthallen-Direktor ver¬abschiedet. In dieser Reihe gibt er jungen Kuratoren die Möglichkeit, aus ihrer Sicht einen Blick auf die aktuelle Kunstszene zu werfen. Der Auftakt ist gelungen und wirkt professionell. Block selbst gibt schon einen klei¬nen Vorgeschmack auf seinen eigenen Beitrag mit einem Vi¬deo von Sam Taylor Wood.
HNA 7. 6. 2006

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