Video-Installation im Guckkasten von Joan Jonas: „In den Schatten ein Schatten: Mein neues Theater III“. In der fünfzehnten Folge unserer Künstler-Porträts zur Documenta 11 stellen wir die Amerikanerin Joan Jonas (Jahrgang 1936) vor, die bereits 1972,1977, 1982 und 1987 in Kassel vertreten war.
Juan Jonas gilt als eine der ersten und einflussreichsten Performance- und Videokünstlerinnen überhaupt. Schon in den 60er- und 70er-Jahren setzte sie mit ihren Arbeiten Maßstäbe, die heute noch gültig sind. Ihre viermalige Beteiligung an der documenta kann als Beleg dafür genommen werden. Trotzdem blieb sie weitgehend unbekannt oder wurde immer wieder vergessen. So konnte die Zeitschrift „Art Forum“ im vorigen Jahr von einer Wiederentdeckung sprechen, als sie sich auf Jonas¬Ausstellungen in Amsterdam, Stuttgart und Berlin bezog.
Genau zu erklären ist das nicht, warum Joan Jonas im Schatten anderer Performance-und Videokünstler blieb. Wenn sie nun wieder hervorgeholt wird geschieht das nicht im Sinne einer Wiedergutmachung. Vielmehr verdankt sie die erneute Einladung zu einer documenta der Tatsache, dass sie weiter als Pionierin zu begreifen ist. Mit ihren digitalen Bearbeitungen hat sie der Videokunst neue Dimensionen eröffnet.
Begonnen hat Joan Jonas als Performance-Künstlerin, die – wie zur documenta 5 – in ihren Aktionen die Fragen nach Raum, Maßstab und Distanz zu thematisieren versuchte. Ein großer Werkkomplex beschäftigte sich mit Spiegelungen, wobei die Künstlerin den Spiegel nicht nur zur Verdoppelung des Bildes nutzte, sondern auch zur symbolischen
Fragmentierung (Aufsplitterung) des Körpers.
Joan Jonas ist die erste Künstlerin in unserer Rei¬he, die nicht bei allgemeinen ge¬sellschaftlichen oder politischen Fragestellungen einsetzt. Sie geht vom Menschen, vom Individuum aus, um seine Gestalt und seinen Ort im Raum und in der Zeit (Geschichte) zu erkunden. Dabei sprengt sie selbst die Bildsprache und die Maßstäbe. Die Performance macht sie zum Gegenstand eines Videos, und um das Video entwickelt sie eine Installation, in der Zeichnungen zu Raumbildern werden und sich die Wirkungskraft eines Bühnenbildes entfaltet. Auch die hier abgebildete Illustration erweckt den Eindruck einer Guckkastenbühne, in der hinter einem Sammelsurium von Gegenständen ein Monitor mit einer Video-Projektion zu sehen ist.
Darin verbirgt sich nicht nur eine spielerische Haltung, sondern eine ernsthafte Befragung der Bildwelten. Wo der gedachte (gezeichnete, projizierte ) Raum in einen wirklichen nahtlos übergeht, wird die Orientierung schwer. Alles wird wirklich und fiktiv zugleich. Da kann man ins Taumeln geraten – wie die Figuren in dem Video „Double Lunar Dogs“, das Joan Jonas zur documenta 8 in Kassel zeigte: Ein Raumschiff rast ziellos durch das Weltall. Die Menschen, die in ihm sitzen, haben vergessen, warum sie unterwegs sind, und sie erleben Bilder, von denen ihnen einige aus der Vergangenheit vertraut sind. Sie gelangen irdendwohin, das aber einem Nirgendwo gleicht. Joan Jonas greift gern auf Mythen und Märchen zurück, um anhand ihrer Erzählstrukturen die Frage nach dem Menschen und seinen Bildern neu zu stellen.
HNA 11. 4. 2002