Die Nazi-Kunst und die Moderne

Eine der spannendsten Ausstellungen der jüngsten Zeit ist im thüringischen Mühlhausen zu sehen: Nazi-Kunst wird Bildern der Moderne gegenüber gestellt.

Man ist auf alles gefasst – auf den Edelkitsch, auf die herbe Idylle der nordischen Familie und auf die schönen Nackten. Aber dann rieselt es einem doch kalt den Rücken hinunter, wenn man plötzlich in der Mühlhäuser Marienkirche gleich vor zwei Hitlerbüsten (u.a. von Arno Breker) steht und direkt daneben ein Gemälde von Franz Kiederich sieht, das Hitler in Parteiuniform zeigt.

Haben wir darauf gewartet, als um die Frage gestritten wurde, ob die Kunst der Nationalsozialisten wieder Einzug in die Museen halten soll? Und wenn überhaupt – muss das gerade an dem Ort geschehen, an dem die SED-Führung mit Hilfe von Kunst und Propaganda versuchte, Thomas Müntzer zum ideologischen Ahnherrn des Arbeiter- und Bauern-Staates hochzustilisieren?

Ja, die Ausstellung der Nazi-Kunst kommt gerade zur rechten Zeit. Denn werden nicht überall in der ehemaligen DDR die Standbilder und der Parteikitsch der SED gestürmt und beiseite geräumt – genauso gründlich wie 1945 die Relikte des Dritten Reiches weggeschafft wurden? Die Ausstellung plädiert nun keineswegs dafür, alle Denkmaler zu erhalten, doch sie wendet sich gegen die totale Säuberung, gegen das übliche Verdrängen. Allerdings: Als die Kunsthistorikerin Stefanie Poley und ihre Arbeitsgruppe die Ausstellung „Rollenbilder im Nationalsozia¬lismus – Umgang mit dem Erbe“ planten, ahnten sie noch nichts von der Wende in der DDR; sie konzipierten die Schau für die alte Bundesrepublik, wo die Kunst der Nazi-Zeit ebenfalls tabuisiert (und in Depots verbannt) ist.

Die Ausstellung, die zuvor in Bonn zu sehen war, bewirkt zweierlei: Einmal gibt sie einen Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Kunst, die im Dienst einer politischen Ideologie geschaffen wurde. Beispielsweise konfrontiert sie Hitler-Bilder mit Reproduktionen von Herrscher-Bildern der letzten zwei Jahrhunderte, um zu zeigen, dass die hohle Pose durchaus Tradition hat. Oder sie dokumentiert mit Hilfe von Plakaten und Zeitschriften-Illustrationen, dass die Bilder der Frau und Mutter, wie sie Künstler der Nazi-Zeit schufen, im Grunde nur malerische Umsetzungen von Klischees waren.

Zum anderen lädt die Ausstellung zur ästhetischen Auseinandersetzung ein. Die Nazi-Kunst ist ja bloß nicht deshalb aus den Museen ausgesperrt, weil sie mit dem politischen Bannfluch belegt ist, sondern weil sie dem allgemeinen Kunstverständnis nach als zweit- und drittrangig gilt, als der schlechte Aufguss realistischer Kunst. Die Qualitätsan¬forderungen der Museen lassen die Präsentation dieser Kunst also nicht zu. Nun aber werden diese Bildwerke dem eigenen Urteil der Besucher freigegeben. Keine Kommentare sind ihnen vorgeschaltet. Dennoch werden sie eindeutig kommentiert: Dem kühlen und ausdruckslosen Bild der nackten „Sklavin“ von Ernesto Liebermann wird Otto Muellers expressionistisches Gemälde „Junges Mädchen vor Männerköpfen“ gegenübergestellt. Oder das programmatisch-verlogene Bild „Mutter Mit Kind“ – (Alfred Kitzig) muss sich dem Vergleich mit Käthe Kollwitz‘ grandiosem Blatt „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ aussetzen.

Die aufregende und vielfältige Kunst der Moderne, die die Nazis verbannt hatten, kommentiert die flache Kunst der Nationalsozialisten: Das Urteil fällt für Kenner eindeutig aus. Aber die Freiheit, dass der eine oder andere Besucher sich bei den heldischen Familienbildnissen wohler fühlt, lassen die Organisatoren zu. Schließlich macht die Ausstellung auch deutlich, wie schmal der Grat der Kunst ist und wie knapp einige der Nazi-Künstler die Balance verfehlt haben. Genau so wird aber auch einsichtig wie kalt, seelenlos und manchmal freudlos die Bilder sind, die die „guten“ deutschen Menschen verherrlichen wollten.

Dank eines vorzüglichen Stellwandsystems wird der Besucher sehr gradlinig und konzentriert durch die einzelner Abteilungen der Ausstellung (Frau, Mann, Paar, Familie Führer, Volksbewegung) geführt. Das System der Gegenüberstellungen ist überzeugend. Etwas schwach ist hingegen in Mühlhausen der Anhang „Umgang mit dem Erbe“ ausgefallen – in dem Werke zeitgenössischer Künstler zu sehen sind, die sich mit den Bilden und Folgen der Nazi-Zeit bechäftigen. Dieser Anhang wirkt – kennt man den vorzüglichen Katalog nicht (Verlag Karl Heinrich Bock, Bad Honnef, 454 S.) – unverständlich und sehr zufällig. Das Team um Stefanie Poley betrachtet die Ausstellung als ein Modell für die Neueinrichtung eines Kunstmuseums. In der Tat wäre es reizvoll auszuprobieren, ob Kunst nicht mal in ganz anderen Verständniszusammenhängen gezeigt werden könnte. Doch dafür wäre das kulturhistorische Museum der richtige Ort und nicht das Kunstmuseum.
HNA 24. 2. 1992

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