Die deutsche Museumsszene verliert einen umtriebigen Mann: Michel Hebecker, Direktor der Museen in Gotha, nimmt seinen Hut, um die ihm anvertrauten Sammlungen voranzubringen.
Da, wo andere resignieren und aufstecken, fühlt er sich herausgefordert. Der 50jährige Gothaer Museumsdirektor Michel Hebecker ist ein Mann, der gerade dann Möglichkeiten und Wege entdeckt, wenn die Lage aussichtslos erscheint. Da kann er Phantasien entwickeln und Perspektiven aufzeigen. Doch in dem Moment, in dem es um ihn selbst geht, fühlt er sich hilf- und wehrlos: Gerade weil Michel Hebecker sich zu seiner Vergangenheit bekennt, gibt er sein Amt auf, bevor er sich möglichen Angriffen von außen zur Wehr setzen muss.
Es ist eine fast tragische Situation: Einerseits ist Hebecker ein Museumsmann, der über so reiche Energien und Visionen verfügt, dass er in nur zwei Jahren so viel bewegte, wie andere nur in 20 Jahren bewirken könnten. Andererseits ist er ein Mann mit Vergangenheit, der mehr als 20 Jahre der SED an-gehörte und der als DDR-Museumsleiter, wie er sagt, auch zwangsläufig der Stasi zuarbeitete.
Die denkbare öffentliche Kritik vorausnehmend, stellt sich Hebecker dieser Vergangenheit: „Wissen Sie, was es bedeutete, in der DDR Museumsleiter zu sein?“ fragt er: „Der Leiter musste bei jeder Ausreise und nach jedem Botschafterbesuch im Museum an die Staatssicherheit einen Bericht machen. Ich möchte nicht wissen, wie umfangreich meine Akte ist.“ Doch nicht nur das. „Meinen Sie,“ so forscht Hebecker weiter, „ich hätte Reisekader sein und Westkontakte knüpfen können, wenn nicht die Kreisleitung der SED und der damalige Bürgermeister nach oben versichert hätten, ich sei zuverlässig?“ Jeder, der in einer vergleichbaren Leitungsposition gewesen ist, sei so eingestuft worden und habe so handeln müssen.
Natürlich habe er zwei Jahre vor der Wende die Parteileitung hofiert und belogen, um die Ausstellung „Vom Expressionismus bis zum Informel“ ermöglichen zu können. Doch dessen könne und wolle er sich nicht rühmen. Er wolle auch keine Gnade: „Unsere Zeit ist abgelaufen. Wir Alten werden abgelöst.“
Wahrscheinlich ist diese Selbsteinschätzung zutreffend. Vielleicht gibt es für Hebecker auch noch andere Gründe. Doch sein Bekenntnis ist ehrlich und moralisch einleuchtend. Hebecker hat nicht mehr die Nerven, den möglichen Konflikt um seine Vergangenheit auszuhalten, und er will nicht, dass die Kräfte des Museums zur Verteidigung seiner Person eingesetzt werden.
Ihm geht es bis zuletzt um die Sache. Das wird auch in dem Moment spürbar, in dem er erstmals seinen bevorstehenden Abschied ankündigt: Bevor er über sich spricht und das Ende seiner Ämter-Karriere, erläutert er voller Begeisterung die Pläne zur Entwicklung der Gothaer Museen. Das gesamte Schloss Friedenstein soll zu ei¬nem einzigen gewaltigen Museumskomplex für Kunst und Kulturgeschichte werden: Im Ostflügel soll demnach das Museum auf drei Etagen mit je 2200 Quadratmetern Fläche ausgebaut werden, während im Westflügel in den historischen Räumen ein Museum thüringische Geschichte geschaffen werden soll. Außerdem soll in den Gewölben unter dem Hof eine große Gaststätte entstehen. Pläne über Pläne, die Hebecker entwirft und auch tatkräftig. umsetzt.
Auch dann, wenn ein Nachfolger gefunden ist (bis dahin will er im Amt bleiben). und Hebecker aussteigt, wird er dem Museum in Gotha verbunden bleiben, zumal er bislang im Gothaer Rathaus die Unterstützung aller Parteien hat. Vor allem wird er das mit großer Energie in Gang gesetzte Skulpturenprojekt weiter be¬treuen und auch die Idee einer Ausstellungsreihe „ProPosition“, in der etablierte Künstler Objekte und Projekte von (weniger bekannten) Kollegen vorstellen. Gleichwohl bedeutet sein Ausstieg einen enormen Verlust für die Museumslandschaft Hebeckers westliche Kollegen und Freunde Christoph Brockhaus und Manfred Schneckenburger brauchten lange, bis sie diesen moralisch begründeten Ausstieg nachvollziehen konnten. Auch weiß man nicht, ob sich bald ein Museumsleiter finden lässt, der mit vergleichbarer Ideenkraft eine Verknüpfung zmischen Tradition und Gegenwart herstellt.
Wer schon hätte den Mut wie er, der ganzen Mannschaft (inklusive sich selbst) zu kündigen und alle Positionen in ABM-Stellen umzuwandeln, nur um sicherzustellen, dass aufs erste niemandem gekündigt wird? Hebecker hatte auch dieses Bravourstück vollbracht.
HNA 16. 1. 1992