Skulpturenprojekt Gotha
Rund 48 national und international bekannte Bildhauer konnte das Gothaer Museum Schloss Friedenstein für sein Skulpturenprojekt gewinnen. Morgen wird die Ausstellung der Entwürfe und Modelle eröffnet.
Wäre es nach den Vorstellungen Michel Hebeker gegangen, wären mit der morgigen Ausstellungseröffnung in Schloss Friedenstein die ersten Skulpturen im angrenzenden Park und in der Stadt vorgestellt worden. Dass es nicht dazu kam, liegt vielleicht auch daran, daß Hebecker seit Mitte des Jahres nicht mehr Museumsdirektor in Gotha ist, sondern nur noch von außen das von ihm auf den Weg gebrachte Projekt fördern kann. Unmittelbar ausschlaggebend für die fehlende direkte Umsetzung waren zwei Faktoren: Die Sponsorengelder flossen nicht wie gehofft, und in vielen De¬tailfragen waren die Widerstände insbesondere der Gartenverwaltung und des Denkmalschutzes größer als befürchtet.
Dabei war das Gothaer Skulpturenprojekt mit viel Energie und großer Sorgfalt gestartet worden. Hebecker hatte vor allem drei wichtige Partner gewinnen können – den Bundesverband Deutscher Galerien als Geldgeber und Organisator, die Experten für zeitgenössische Skulptur, Christoph Brockhaus und Manfred Schneckenburger, und schließlich das Land Thüringen. Vor einem Jahr hatten sich drei Dutzend namhafter Künstler in Gotha versammelt, um in einem Kolloquium die Möglichkeiten eines solchen Projekts zu erkunden und insbesondere Plätze auszusuchen, aus denen heraus und für die Arbeiten entwickelt werden könnten.
Auch wenn einige Künstler anderen Kollegen unterstellten, sie wollten in Gotha nur fertige Arbeiten abstellen, kam es zu einer intensiven und beispielhaften Auseinandersetzung der Bildhauer mit den hi-storischen und architektonischen Gegebenheiten rund um das Schloss Friedenstein. Von Anfang an stand fest, dass man keinen Skulpturengarten schaffen wolle, sondern jede Arbeit ihre eigenen Bezüge herstellen solle.
Erwin Wortelkamp etwa entdeckte im Park einen riesigen abgestorbenen Baum, den er an Ort und Stelle stehen lassen, aber zur Skulptur umarbeiten, wollte (was in Gotha heiße Diskussionen auslöste). Ebenfalls reichlich Diskussionsstoff bietet der Vorschlag von Raimund van Well, den Rosengarten zwischen Schloss und Museum der Natur umzugestalten und das darin stehende Ehrenmal aus dem Zentrum zu nehmen und auf die Seite zu kippen.
Für die jetzt eingerichtete Ausstellung sind alle diese Vorschläge anschaulich gemacht worden. Die meisten der 48 teilnehmenden Künstler haben Modelle eingereicht, andere haben Fotomontagen und Skizzen geschickt. Die Entwürfe bergen das ganze Spektrum aktueller künstlerischer Möglichkeiten. Sollte ein Teil davon realisieit werden, könnte Gotha zu einem Ort werden, an dem man zeitgenössische Skulptur in klaren städtischen Bezügen erleben kann.
Mit zu besten Ideen gehören jene, die aufs Museum selbst und seine Sammlung zielen. Was anlässlich der documenta 9 in der Neuen Galerie in Kassel in radikaler Form zu erleben war, könnte sich in Gotha in gemäßigten Bahnen vollziehen. So hat Mechthild Frisch ihre malerische Plastik „Muse kopflos – durchbohrt“ für die Sammlung der klassizistischen Houdon-Skulpturen gedacht. Auch Ulf Hegewald und Fritz Schwegler wollen mit ihren Beiträgen ins Museum. Andere – wie Bogomir Ecker oder Ste¬fan Huber – haben für sich die Schlossgewölbe entdeckt.
Die Ausstellung hat einen hohen ästhetischen Reiz, und die Museumsleitung hat viel dazu beigetragen, den so unterschiedlichen Modellen zur Wirkung zu verhelfen. Sie ist zudem ein wahrer Ideenfundus. Trotzdem darf man nicht darüber hinwegsehen, dass sie nur eine Etappe auf dem Weg zum Skulpturenprojekt bildet. Es muss weitergehen.
Insofern ist zu hoffen, dass die Übernahme der Ausstellung auf den Kölner Kunstmarkt „Art Cologne“ im November nicht nur eine Form des Rechenschaftsberichts für den Bundesverband Deutscher Galerien ist, sondern als eine Chance angesehen wird, das Projekt nun in die Umsetzungs¬phase zu bringen. Der umfangreiche Katalog, der zur Ausstellung angekündigt ist (232 S., 38 Mark), enthält mit seiner ausführlichen Dokumentation eine entsprechende Verpflichtung. Außerdem könnte er zu einem Handbuch zeitgenössischer deutscher Skulptur werden.
HNA 3. 10. 1992