Ungewöhnliche Wege verfolgt die Fakultät Ge¬staltung in Weimar bei der Künstlerausbildung. Auch die Anfänger werden gleich in Projekte einbezogen.
Einige Kunststudenten waren merklich frustriert: Sie hatten Mappen mit eigenen Bildern eingereicht, hatten eine Aufnahmeprüfung bestanden und wollten nun in Kursen das Zeichnen, Malen, Filmen oder Bildhauern lernen. Aber diese Grundkurse gibt es nicht an der vor einem Jahr geschaffenen Fakultät Gestaltung der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen. Und so oft auch der innere Zusammenhang mit dem Bauhaus beschworen wird, das am selben Ort 1919 seine bahnbrechende Arbeit in der Kunst-und Gestalt-Ausbildung begonnen hatte, so klar verdeutlicht der Verzicht auf handwerkliehe Vor- und Grundkurse den Bruch mit der Bauhaus-Tradition, den die Fakultät Gestaltung vollzogen hat. In der Fakultät sind die Fachbereiche Kunst, Produktdesign und Visuelle Kommunikation vereinigt.
Nun ist es aber nicht so, dass die Kunst des Zeichnens oder Malens an der Fakultät nicht geschätzt würde. Aber die dort als Professoren wirkenden Künstlerinnen und Künstler (Liz Bachhuber, Elfi Fröhlich, Norbert Hinterberger, Barbara Nemitz und Fritz Rahmann) sehen sich nicht als traditionelle Dienstleister, die Zeichner, Maler oder Bildhauer ausbilden wollen. Sie selbst arbeiten übergreifend und experimentieren – von der Malerei bis zur konzeptuellen Fotografie. Alles – vom Zeichenstift bis zur Videokamera – kann Ausdrucksmittel sein. Also wollen sie aus eigener Erfahrung die Studenten dahin bringen, sich erst einmal analysierend-mit einem Problem auseinanderzusetzen. Sie sollen das, wozu sie etwas gestalten wollen, erst einmal für sich selbst existentiell erfahren, bevor sie nach dem Medium suchen. Wenn sie dann aber das Zeichnen oder Schweißen zur Problemlösung benötigen, soll dies auch praktiziert und gelehrt werden.
Am Anfang steht also nicht der Grundkurs, sondern das Projekt zu dem sich Studenten unterschiedlichen Alters und Herkommens zusammenfinden sollen. Barbara Nemitz etwa bot ein Projekt zur „Nähe“ an, in dem über Raum-, und Farberfahrungen eine Arbeit entwickelt werden sollte. Liz Bachhubers Müll-Projekt war umfassend angelegt: Es wurde ein weiter Bogen geschlagen vom normalen Müll über den medialen Abfall bis hin zu den Künstlern, die mit Müll arbeiten. Es wurde Müll gesammelt, sortiert, katalogisiert und eine Skulptur gebaut. Fritz Rahmann thematisierte heutige Räume im Bezug zum Klassizismus. Elfi Fröhlich. wollte mit Hilfe der Fotografie vom Absurden zur Sinnfindung gelangen. Und Norbert Hinterberger unternahm mit Studenten eine Weimar-Expedition, um über Fotos, Durchreibungen und Fundstücke eine Bestandsaufnahme der sich verändernden Stadt vornehmen zu können.
Dem Gründungsdekan der Fakultät, Prof. Lucius Burckhardt (Kassel) schwebt vor, dass sich in den-Projekten die unterschiedlichen Fachbereiche und Studentengenerationen mischen. Beides funktioniert in der Aufbauphase noch nicht. Das Stammhaus, die Architektur-Hochschule, ist zu verschult, als dass die Studenten aus ihren Lehrprogrammen ausbrechen könnten; außerdem werden die weitgehend aus dem Westen kommenden Professoren noch mit Misstrauen betrachtet.
Es besteht vielfach eine scharfe Trennung zwischen Ost und West. Andererseits fehlen zwangsläufig die älteren Semester im Bereich Gestaltung. Am Ende des zweiten Semesters sind von den knapp 4000 Studenten der Hochschule für Architektur nur 60 an der Fakultät eingeschrieben (15 davon in der Kunst). Künftig will die Fakultät Gestaltung jährlich 100 Studenten aufnehmen (30 für die Kunst). Die Fakultät gewinnt also erst allmählich an Gewicht.
Doch der Ausbau verschärft auch die Probleme. Nur zögernd und unwillig haben die eingesessenen Fachbereiche der Hochschule Büro- und Arbeitsräume für die neue, Unruhe schaffende Fakultät freigemacht. Einige Professoren und Klassen träumen bisher nur von Ateliers – wie etwa von den Oberlichträumen im Zentralbau. Wenn aber die erhofften neuen Studenten kommen, wird es erst richtig eng.
HNA 1. 7. 1994