Die schönen Dinge für den Alltag

Im Weimarer Park an der Ilm liegt eine viel besuchte Pilgerstätte – Goethes Gartenhaus. Zwar steht in Sichtweite das Schloss, in dem Goethes Landesherr und Förderer residierte, aber ansonsten scheint es weit weg von der Stadt zu liegen. Das stimmt aber nicht mehr. Das Wachstum der Stadt führte dazu, dass der Park auch auf der stadtfernen Seite be¬baut wurde.
Bevorzugte Gegend war die Straße oberhalb des Parks (Am Horn); dort entstanden großzügige Villen. Mitten unter den alten Bauten steht, einen Steinwurf vom Gartenhaus entfernt,
ein weißer, rechteckiger Flachbau. Auch dieses Haus ist mittlerweile historisch: Es wurde 1923, mitten in der wirtschaftlich katastrophalen Inflationszeit nach den Plänen des Malers und Bauhaus-Lehrers Georg Muche gebaut.

Das Gebäude war als Musterhaus gedacht, es sollte den Kern einer Bauhaus-Siedlung bilden. Die Siedlung entstand nie. Zum einen fehlten die Geldmittel, zum anderen nahmen die politischen Angriffe der rechtskonservativen Kräfte derart zu, dass bald schon kein Platz mehr für das Bauhaus in Weimar war und es nach Dessau umziehen musste.

Das Haus am Horn, wie Muches Wohnhaus genannt wird, kann heute noch als Modell gelten: Das Zentrum des Hauses bildet ein 4,10 Meter hoher Wohnraum, der wie ein Turm die anderen, ihn einschließenden Räume überragt. Sein Licht bezieht er durch die oben eingelassenen Fensterbänder. Die Hochschule für Architektur und Bauwesen, die sich in der Nachfolge des Bauhauses sieht, will das Haus am Horn zu einer Begegnungs- und Dokumentationsstätte machen. Neben dem neuen Bauhaus-Museum in der bisherigen Kunsthalle am Theaterplatz ist das Haus am Horn das wohl wichtigste Zeug¬nis der Bauhaus-Zeit.

In seiner Gestalt kündigt sich bereits der später dann international viel gepriesene Bauhaus-Stil an, dessen Architektur sich durch Klarheit (rechte Winkel), Funktionalität und Wirtschaftlichkeit auszeichnet. Für die 1923 in Weimar ausgerichtete Bauhaus-Ausstellung war das Haus am Horn auch im Innern von den Lehrern und Studenten durchgestaltet worden. Diese Arbeiten hatten mit „Kunst am Bau“, wie sie im Westen und Osten Deutschlands üblich war, nichts zu tun, weil Walter Gropius und seine Mitstreiter wie Muche, Lyonel Feininger oder Paul Klee ganz anders dachten. So hieß es im Bauhaus-Manifest von 1919: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau.“ Und: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!.. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.“

Diese Programmatik hilft, den scheinbaren Widerspruch aufzulösen, mit dem das Bauhaus-Museum uns konfrontiert: Auf der einen Seite konnte das Bauhaus nur deshalb seine Pionierrolle einnehmen, weil es die großen Künstler seiner Zeit als Lehrkräfte vereinigte. Doch genau die prominenten, einzelkünstlerischen Leistungen sind kaum zu sehen, weil die Kunst-Produktion ein Nebenaspekt der aufs Gestalten ausgerichteten Arbeit war. Außerdem mussten die Kunstsammlungen wichtige Werke der Bauhaus-Künstler; unter der Nazi-Herrschaft herausgeben.

Doch gerade das Zurücktreten der freien künstlerischen Arbeiten lässt die zentralen Leistungen des Bauhauses umso deutlicher erscheinen. Ganze Werkreihen geben Aufschluss darüber; wie die Meister und Studenten um die Bewältigung von Form- und Farbproblemen rangen..

Am Anfang, so wird deutlich, war gar nicht ausgemacht, wohin das Bauhaus stilistisch steuern würde. Das vom Bauhaus-Direktor Gropius entworfene Mahnmal für die März-Gefallenen in Weimar steht beispielsweise noch ganz in der expressionistischen Tradition. Sehr bald setzte sich aber der klare, strenge Stil durch, der allen Schnörkeln des Jugendstils und des Historismus eine Absage erteilte und auf die Funktionalität ausgerichtet war.

Die gleiche Klarheit wurde in der Farbgebung gesucht, wobei die Rückbesinnung auf den Einsatz der Grundfarben Rot, Gelb, Blau im Nachhinein zu einem Markenzeichen des Bauhauses wurde. Auf drei Wandteilen werden diese Leitfarben im Museum in Erinnerung gebracht. Faszinierend wird der Geist jenes Gestaltungswillens aber dadurch, dass Peter Keler 1922 beim Bau einer Kinderwiege. ebenfalls auf diese Signalfarben zurückgriff. Zu den besten und schönsten Arbeiten, die im Museum zu sehen sind, gehören die Teppiche, die Erzeugnisse der Metallwerkstatt und die Stühle sowie die Modelle der Bühneneinrichtungen.

Die Stühle, die etwa Marce1 Breuer entwarf, würden bis heute jedem modernen Möbelhaus Ehre machen. Andererseits entwickelte Walter Gropius einen Radioschrank, der die Radio- und Fernsehtruhen der Nachkriegszeit in den Schatten stellt. Zeichnen sich diese Möbel durch Strenge und Funktionalität aus, so spiegeln die versilberten Kaffee- und Teekannen von Wilhelm Wagenfeld und Marianne Brandt einen fast schon exzentrischen Formwillen.

Die schönen Dinge für den Alltag waren kein Traum; sie waren nutzbar und doch den Werken der freien Kunst ebenbürtig. Allerdings gelang es nicht wirklich, die zeitlosen Entwürfe für eine preisgünstige Massenproduktion zu nutzen. In vielen Fällen blieben die beispielhaften Bauhaus-Objekte teure Einzelstücke.

HNA 11. 6. 1995

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