Der Ablauf ist zum Ritual geworden: Dreieinhalb Jahre vor der nächsten documenta in Kassel wird deren künstlerischer Leiter der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf einhelligen Vorschlag der achtköpfigen internationalen Findungskommission wurde jetzt der polnische Kurator Adam Szymczyk (Jahrgang 1970), der seit 2003 der Leiter der Kunsthalle Basel ist, vom documenta-Aufsichtsrat beauftragt, die documenta 14 zu leiten, die vom 10. Juni bis 17. September 2017 stattfinden soll. Sein Vertrag beginnt am 1. Januar 2014. In Deutschland wurde Szymczyk durch die 5. Berlin Biennale bekannt, die er zusammen mit Elena Filipovic 2008 organisierte.
In der Pressekonferenz blieb Szymczyk erst einmal wortkarg. Koyo Kouoh, Direktorin der Raw Material Company und Sprecherin der Findungskommission, hatte ihn zuvor gelobt: Von den sechs Kandidaten, die in die Endrunde gekommen seien, habe er das klarste Konzept vorgelegt. Er verspreche eine ganz frische und intellektuelle Ausstellung. Doch von dem Konzeptvorschlag wurde nichts verraten. Er stehe, so Szymczyk, am Anfang der dreijährigen Planung, die Ausstellung müsse sich in einem Prozess entwickeln.
Statt eines Konzepts hatte Adam Szymczyk zwei schmale Bücher mitgebracht. Das eine hob er hoch, als er auf die Frage antwortete, welche documenta er am meisten schätze: Es war der Kurzführer der documenta X (1997). Die von Catherine David geleitete Ausstellung sei durch ihre Hinwendung zum Politischen bahnbrechend gewesen. Ebenso wichtig sei ihm die Documenta11, die logisch auf Davids Ausstellung aufgebaut habe. Beide Ausstellungen habe er als sehr inspirierend in Erinnerung. Die documenta X war auch die erste, die Szymczyk persönlich erlebte.
Adam Szymczyk zum Leiter der documenta 14 (2017) berufen
Carolyn Christov-Bakargiev hatte sich bei ihrer Vorstellung als documenta-Leiterin ebenfalls auf Catherine David bezogen. Sie bewundere die Französin, weil sie die Auseinandersetzung mit der Avantgarde gesucht und die Intellektualität in die documenta zurückgebracht habe. Erst allmählich scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass nach der ersten und der fünften documenta auch die zehnte eine Wendemarke war.
Das zweite Buch, das Adam Szymczyk mit in die Pressekonferenz brachte, war der Katalog der ersten documenta. Mit dieser Ausstellung sei Arnold Bode 1955 eine revolutionäre Tat gelungen, sagte Szymczyk später im Gespräch. Mittlerweile sei die documenta zu einem wichtigen Teil der kulturellen Geschichte Europas geworden, zu einem Monument. Er selbst, meinte Szymczyk, wolle aber nicht nur ein Monument schaffen, sondern ein Dokument seiner Zeit, womit er sich zur Ursprungsbedeutung des Namens bekennt. Adam Szymczyk möchte seine Ausstellung zwischen den Polen der documenta von 1955 und der Ausstellung von 1997 ansiedeln. An ein Kuratoren-Duo wie bei der Berlin-Biennale denkt er nicht, wohl aber an ein Kuratorenteam.
Die New York Times nannte Szymczyk vor zwei Jahren einen „Superstar“ unter den Kuratoren. In zahlreiche positiv gestimmte Berichte über seine Berufung zum documenta-Leiter wurde diese Formulierung übernommen. Dabei ist er das ganze Gegenteil eines Stars: Er ist ein Intellektueller, der leise und nachdenklich auftritt, aber hellwach und immer zum Lächeln bereit ist. Szymczyk ist ein guter Zuhörer, hat Humor und antwortet präzise, auch wenn er meint, sein Deutsch sei nicht gut. Er reklamiert für sich, dass er sich verändern kann, wenn er auf frühere Äußerungen angesprochen wird: „Ich bin erwachsen geworden“.
Mit Schlagwörtern ist Szymczyk nicht beizukommen, weil er die Erwartungen unterläuft und sich sowie die Künstler, mit denen er arbeitet, zu Experimenten ermutigt. Als er sich 2003 mit seiner ersten Ausstellung in der Kunsthalle Basel vorstellte, entschied er sich nicht für eine programmatische Schau, sondern für eine Solo-Ausstellung mit Piotr Uklanski. Sein Gesamtkonzept wollte er nicht gleich preisgeben. Aber auch die Wahl des Künstlers führte etwas in die Irre. Uklanski war zwar erwartungsgemäß wie Szymczyk Pole, doch er stand nicht für die osteuropäische, sondern für die westlich geprägte internationale Kunst.
Szymczyk gilt als Kurator, der es liebt, unbekannte Positionen vorzustellen, immer wieder Experimente zu wagen, neue Räume zu erobern und übersehene Werke zu präsentieren. So zeigte er 2006 das malerische Werk der weitgehend vergessenen Künstlerin Lee Lozano in einer faszinierenden Installation, bevor 2007 die documenta diese Malerin entdeckte. Andere documenta-Künstler aus jüngster Zeit, mit denen er arbeitete, sind Maria Thereza Alves, Thea Djordjadze, Jimmie Durham, Susan Hiller, Adriana Lara, Goshka Macuga, Gustav Metzger, Nasreen Mohamedi, Pratchaya Phinthong und Artur Zmijewski.
Für seine kuratorische Praxis wurde Szymczyk 2011 mit dem Walter Hopps Award ausgezeichnet. Er schätzt, wie er in einem Interview bekannte, Kunstpraktiken, die eine Annäherung an die Realität anstreben. Ihn fasziniert, wenn Kunst mit der Wirklichkeit „verfließen“ kann oder wenn reale Situationen nachgestellt werden. So ließ er sich 2005 mit Zmijewski auf das Experiment ein, eine Gefängnissituation – mit ausgelosten Gefangenen und Wärtern – nachzustellen. Zu dieser Verschmelzung von Kunst und Wirklichkeit gehört allerdings, dass sie sich im geschützten Raum der Ausstellung vollzieht.
Der 1970 in Piotrkow Trybunalski (bei Lodz) geborene Szymczyk kam früh mit der zeitgenössischen Kunst in Berührung. Ein Urerlebnis für den 15jährigen war Hans Richters „Dada“-Buch. Er studierte in Warschau Kunstgeschichte und wurde durch seine Mitarbeit in der Foksal Galerie durch die Konzeptkunst geprägt. Zusammen mit anderen gründete er 1997 die Foksal Gallery Foundation in Warschau, in der er Erfahrungen als Kurator sammelte. Seine Magisterarbeit schrieb er 2002 über die Dematerialisierung des Kunstobjekts in den 60er und 70er Jahren. 2003 ging er nach Basel, wo er mit seiner Frau und seinen vierjährigen Sohn lebt. Möglichst bald will er nach Kassel umsiedeln oder zumindest dort eine Zweitwohnung beziehen.
Der Zufall will es, dass die Kunsthalle Basel im Dezember 2013 die Ausstellung „Warum ist Landschaft schön?“ zeigt, die sich auf den Urbanisten Lucius Burckhardt bezieht, der in Basel lebte und an der Universität Kassel lehrte und der meinte, Landschaft sei kein Phänomen, sondern eine Konstruktion unseres Bewusstseins.
Kunstforum, Dezember 2013