„Wir sind blass vor Neid“

Ungeteilter Beifall für die erste documenta

„Die documenta gehört zu den großen Ereignissen, an die man sich sein Leben lang erinnern wird.“ Die Kritikerin Doris Schmidt hatte mit diesem Satz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Sommer 1955 das auf den Punkt gebracht, was viele empfanden: Die documenta erschien als ein Ausnahmeereignis, als eine Ausstellung, die auf gültige Weise die Bilanz eines halben Jahrhunderts zog und gekonnt die Meister der Moderne mit der jungen Künstlergeneration konfrontierte. Allerdings blieb die Auswahl fast ausschließlich auf Europa beschränkt, wobei Deutschland, Frankreich und Italien die Schwerpunktländer waren.

Aus heutiger Sicht ist schwer vorstellbar, was diese Ausstellung damals bedeutet hat. Viele Museen lagen in Trümmern Zudem litten die Sammlungen darunter, dass die Nationalsozialisten die Kunstwerke der Moderne als „entartet“ aus den Museen entfernt hatten. So mussten die Sammlungen erst mühsam wieder aufgebaut werden. Zudem gab es keine Kunsthallen, in denen zumindest zeitweise Übersichten über die Kunst des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt werden können.

Insofern schloss die documenta eine schmerzliche Lücke. Aber Bode und seine Mitstreiter wollten nicht nur für die Deutschen Versäumnisse wettmachen. Sie wollten im europäischen Stil eine künstlerische Bilanz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ziehen, um vorzuführen, wo sie die Wurzeln der „Kunst der Gegenwart in Europa“ sehen. Es ging also nicht nur um die Aufarbeitung der Kunstgeschichte. Vielmehr sollte anhand qualitätsvoller Arbeiten sichtbar gemacht werden, wie die junge Künstlergeneration an die Leistungen der Pioniere der Moderne anknüpft.

Dass dies gelang, wurde selbst aus Schweizer Sicht bescheinigt: „Auch dem Kenner der zeitgenössischen Kunst, der durch die großen personellen Ausstellungen der letzten Jahre oder durch die Venezianer Biennalen informiert ist, bedeutet die documenta einen großen Eindruck“, schrieb Hans Curjel in der Zürcher Weltwoche. Und Friedrich Dargel schrieb gar im Berliner Telegraf: „Wir sind blass vor Neid, so etwas wünschen wir uns für unsere zukünftigen Festwochen“.
Die Gemälde und Skulpturen von Pablo Picasso bis Alexander Calder zusammenzubringen, war eine ungeheuere Leistung. Doch hätte die Ausstellung nicht so zwingend gewirkt, hätte nicht der Ausstellungsmacher Arnold Bode das im Zweiten Weltkrieg zerstörte und 1955 nur provisorisch wieder hergerichtete Museum Fridericianum so faszinierend ausgestaltet, dass man von einer Inszenierungskunst sprach. Bode arbeitete mit dem Schwarz-weiß-Kontrast wie bei Fachwerkgebäuden. Das Tageslicht wurde durch weiße Vorhänge gedämpft, und die Bilder und Skulpturen waren mal vor rohen, weiß geschlämmten Backsteinwänden oder vor wechselnd schwarzen, grauen oder weißen Plastikbahnen zu sehen. Und auch mit der Wirkung der Bilder spielte er, indem er etliche Gemälde leicht schräg an vor den Wänden angebrachten Eisengestellen befestigte und ihnen auf diese Weise eine plastische Wirkung verlieh.

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