Das Jüdische Museum in Berlin ist eingerichtet. Es bietet sich als ein Lernort zur deutsch-jüdischen
Geschichte an. Wegen der Terrorakte wurde die reguläre Öffnung auf heute verschoben.
Den Tag über zogen
Schulklassen durch die Sammlung.
Sie reagierten offen und
interessiert auf eine Ausstellung,
deren Sprache sich fort-
während ändert und die zu immer
neuen Entdeckungen und
Aktionen einlädt. Obwohl die
Schau nicht einfach ist und den
Blick immer wieder auf die Verfolgung,
Aussonderung und Vernichtung
der Juden lenkt, ergab sich eine erfrischende Atmosphäre.
Großen Anteil daran haben
die vielen Studentinnen und
Studenten, die durch Schals als
Museumsmitarbeiter ausgewiesen
sind und die nicht nur aufpassen,
sondern stets bereitstehen,
um Hinweise zu geben und
Fragen zu beantworten.
Das war ein gutes Vorzeichen
für den Dienstagabend. Denn ab
19 Uhr sollte endlich auch die
allgemeine Öffentlichkeit Zugang
zu dem Jüdischen Museum
in Berlin haben. Der zu erwartende
Andrang sollte die erste
Bewährungsprobe der Ausstellungsarchitektur
mit ihren Engführungen
bringen. Doch mit
den unvorstellbaren Terrorakten
in den USA kam alles anders.
Die Sicherheitsvorkehrungen
rund um das Museum wurden
verstärkt und der Beginn
der regulären Öffnung auf heute
verschoben.
Es sind nicht nur Sicherheitsgründe,
die zur Schließung führten.
Es ist vor allem ein Akt der
Betroffenheit und Solidarität.
Und indirekt hängt ja der aktuelle
Konflikt zwischen Israel
und den USA auf der einen Seite
und Teilen der islamisch-arabischen
Welt auf der anderen
Seite mit der deutsch-jüdischen
Geschichte zusammen, die in
diesem Haus dokumentiert
wird. Denn ohne die Nationalsozialisten
und deren gegen die
europäischen Juden gerichtete
Der Holocaust als
ständige Mahnung
Vernichtungspolitik hätte der
Exodus nach Palästina nicht
diese Ausmaße angenommen.
Der Holocaust ist nicht das
Thema des Museums. Aber ohne
die Erinnerung an die organi-‚
sierte Vernichtung von Millionen
Menschen kann heute keine
deutsch-jüdische Geschichte
geschrieben werden. Das hat
Daniel Libeskind, der geniale
Architekt, bei der Planung seines
viel gerühmten Museumsbaus
gewusst und berücksichtigt.
Man gelangt in die im zweiten.
Stock beginnende Ausstellung
nur, wenn man im Kellergeschoss die Achse des Holocaust
gekreuzt hat. Und wer dieser
Achse folgt, der geht an Wänden
mit den Namen der Konzentrations-
und Vernichtungslager
vorbei – bis zum Holocaust
Tower. Dieser Turm ist haushoch,‘
dunkel und leer, lediglich
durch einen Spalt fällt Licht.
Die Erinnerung an den Schrecken
wird zur stillen Beklemmung.
Auch beim Rundgang durch
die Sammlung kommt man immer
wieder an schmale Fensteräusschnitte,
durch die man in
Leerstellen (Voids) zwischen
den Gebäudeteilen blickt und
die an das Unsagbare erinnern.
Das durchgängige Mahnungsmotiv
bildet den roten Faden, an
dem die Erzählung der Geschichte
aufgefädelt wird. Mit
dieser Vorprägung gibt die Architektur
den Grundton an, von
dem kein Museumsgestalter abgehen
kann. Auch die Form <^es
Museums insgesamt - der in einen
Blitz verwandelte, geborstene
Davidstern - birgt bereits
die mahnende Grundaussage.
Ken Gorbey, der zusammen
mit dem Büro Würth & Winderoll
die erste Dauerausstellung
entwickelt hat, verdoppelt nicht
die Klage, sondern setzt eine
vergleichsweise lockere Erzählung
dagegen. Diese Ausstellungverlässt
das übliche Museumsmuster,
nach dem zahllose Bilder
und Objekte aufgereiht werden,
deren Erläuterung Texttafeln
übernehmen. Dem Team
kam dabei entgegen, dass sich
das Museum noch im Aufbau befindet
und keine überbordende
Sammlung unterbringen muss.
So wurde die Inszenierung umgedreht:
Es wurde ein äußerst
lebendiger und höchst abwechslungsreicher
Gang durch die Geschichte
angelegt, in dem die
Originalobjekte nur Belegcharakter
haben. Nach vorne drängen
sich überdimensionale Re-
Stimmungsbilder,
die ansprechen
Produktionen und Modelle, Säulen
mit Wissensschubladen und
Tableaus mit Fragespielen oder
dicht gehängte Bilderwände.
Die chronologisch aufgebaute
Ausstellung arbeitet nicht
Punkt für Punkt Geschichte ab,
sondern baut kleine Szenarien
auf, die beispielhaft von Personen
(Glückel von Hameln oder
Moses Mendelssohn) oder Sachgebieten
(Jüdische Küche, Beschneidung,
jüdisches Bürgertum)
erzählen. So entstehen
Stimmungsbilder, die emotional
ansprechen. Die interaktiven
Angebote verstärken den Einladungscharakter
der Ausstellung.
Das sieht man auch daran,
dass immer wieder Spielecken
und Tunneldurchgänge für kleine
Rinder eingebaut wurden.
Das Jüdische Museum ist ein
junges Museum, das die Jugend
für sich gewinnen kann. Insofern
ist es gelungen. Aber es hat
längst nicht seine endgültige
Form gefunden. Der Umgang
mit ihm wird seinen Charakter
verändern. Möglicherweise
muss auch an der räumlichen
Konzeption gefeilt werden, weil
auf den beiden Etagen mehrfach
Engpässe entstehen.
In der Sammlung wird anschaulich,
wie die Geschichte
der Juden in Deutschland immer
wieder durch Vorurteile (Hostienfrevel,
Brunnenvergiftung)
und Diffamierungen geprägt
wurde. Und der Nazi-Terror
brach genau in dem Augenblick
über die Juden herein, als viele
von ihnen sicher waren, im deutschen
Bürgertum angekommen
zu sein.Trotzdem macht die Ausstellung
Mut — zur Verständigung.
Der Ausstellung folgend konzentriert
sich der Katalog („Geschichten
einer Ausstellung",
220 S., 38 Mark) nicht auf Objekte,
sondern auf Themen. Wer
die Auseinandersetzung mit ihnen
vertiefen will, findet dazu
an den Bildschirmen im Learning
Center ausreichend Gelegenheit