Die documenta als Richtschnur

Möglicherweise ist die Arbeit der in Berlin lebenden und Frankfurt lehrenden Künstlerin Judith Hopf von vielen Besuchern der dOCUMENTA (13) gar nicht richtig wahrgenommen worden. Dabei hatten die weißen Masken, mit denen sich Judith Hopf im Fridericianum vorstellte, einen Ehrenplatz bekommen – nämlich im Brain, in dem das Herz der documenta schlug. Die Masken waren ein Reflex auf ihren Besuch in Breitenau, wo sie erfuhr, dass die Heimbewohnerinnen und der früheren „Erziehungsanstalt“ Masken gestalten sollte. Dieses Erlebnis brachte sie ihrerseits dazu, Masken herzustellen – undzwar zugleich in der Auseinandersetzung mit Verpackungen elektronischer Geräte.
Judith Hopf bewahrte dieses Wegwerfmaterial und trug auf diese Weise dazu bei, dass aus den inhaltslosen Verpackungen Objekte wurden, die eine ums Vielfache gesteigerte Lebensdauer haben als die Daten und Strukturen der Geräte. Judith Hopf schnitt in die Materialien schlichte stilisierte Masken, die sie mit Hilfe eines 3D-Scanners in weiße Objekte übertrug. Und damit verließ sie den Breitenau-Bezug und war bei dem Thema, das sie auf immer neue Weise fesselt – die Beschäftigung mit der digitalen Welt und die Täuschung der Seherfahrungen.
Glücklicherweise wurden aus der dOCUMENTA (13) drei Masken von Judith Hopf für die Neue Galerie erworben. Dieser Bestand ist nun Anlass für eine relativ umfangreiche Einzelausstellung („More“) in der Neuen Galerie. Damit erweist sich, dass die Neue Galerie nach ihrer Neuordnung nach der dOCUMENTA (13) die documenta zur Richtschnur der Ausstellungspoltik geworden ist. Das fing mit der Sonderschau der documenta-Bestände und -Neuerwerbungen an. Dann folgte eine großartige Wols-Ausstellung, in der zahlreiche Bezüge zur documenta und zu früheren Ankäufen hergestellt wurden. Auch die Präsentation der Pop-art-Werke aus dem Bestand der Neuen Galerie sowie der Graphischen Sammlung bestätigte diese Linie. Und jetzt gibt es gleich zwei Ausstellungen mit documenta-Bezug zu sehen – die kleine Kabittsschau zu den „7000 Eichen“ von Joseph Beuys und die Werkschau von Judith Hopf. Abgerundet wird diese erfreuliche Bilanz durch die jüngsten Ankäufe von Werken von Urs Lüthi und Tacita Dean.
Judith Hopf ist eine Künstlerin, die sehr stark von der Sprache herkommt und aus dem Wort Mehrdeutigkeiten und Humor entwickelt. Schon der Titel der Ausstellung „Mor(e)“ weist darauf hin. Im mor(e) Mehr steckt genauso das Meer wie das Moor. Aber erst einmal reibt sich Judith Hopf daran, dass wir immer mehr wollen, aber im Grunde weniger bekommen, weil das meiste flüchtig ist.
Die Künstlerin arbeitet sehr reduziert. Die Schlangen, die uns verlocken und bedrohen, sind kantig und rechtwinklig aus Beton geschnitten. Eine helle Vase scheint im schwarzen Moor zu versinken. Der Boden scheint sich zu öffnen, auch dann, wenn Körbe auf ebener Fläche ins Kippen geraten und aussehen, als würden sie untergehen. Wir sind auf Judith Hopfs Spuren an einen Punkt gelangt, an dem die Welt aus den Fugen gerät und wir erschöpft sind. Erschöpfte Vasen werden mit der Öffnung nach unten aufs Podest gestellt und weisen mit ihren aufgemalten Fratzen den Weg zu den Masken. Aber diese Visionen kippen nicht insBedrohliche, sondern bleiben spielerisch – so spielerisch wie in dem Video, in dem pausenlos Türen auf- und zugehen und in dem sich Menschen unerwartet und rätselhaft begegnen.

Schreibe einen Kommentar