Das documenta 14-Magazin

Die documenta 14 steckt ihren Rahmen ab.

Vor einigen Tagen hat die documenta-Leitung den aus dem Irak stammenden und in Berlin lebenden Konzept-Künstler Hiwa K als ersten Künstler der documenta 14 vorgestellt. Hiwa K hatte am Schlusstag des documenta-Symposiums in Kassel seinen ersten Auftritt gehabt – er hatte auf einer Gitarre Flamenco-Musik gespielt und hatte einen Film mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Palästina gezeigt.

Am gestrigen 31.Oktober 2015 nun erschien das erste documenta-Magazin, das als Plattform die schon bestehende Zeitschrift South as a state of mind benutzt. Das Magazin erscheint in englischer Sprache und ist online in Deutsch unter folgender Adresse zu lesen:
http://www.documenta14.de/de/south/

Ich habe hier das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis kopiert:

„Eigentum und Enteignung, Vertreibung und Schulden – die Geschichten, die unsere Gegenwart bestimmen, scheinen untrennbar mit den Geschichten verbunden zu sein, die unsere Vergangenheit bestimmt haben. Die erste von vier Sonderausgaben von South as a State of Mind, das temporär zum Magazin der documenta 14 umgestaltet wird, untersucht Formen und Figuren von Vertreibung und Enteignung sowie die darin aufzuspürenden Praktiken des – ästhetischen, politischen, literarischen, biologischen – Widerstandes. Neue literarische wie auch visuelle Essays beschäftigen sich mit dem Ort der Enteignung innerhalb von Performativität, staatlicher Gewalt, Architektur, Sexualpolitik und Protest. Präsentiert werden außerdem historische Dokumente zu Enteignung und Schulden sowie ein Fotoessay über Aufbau und Brand des Wissens, der sich mit Bibliotheken und Tempeln beschäftigt, den Gebäuden des Lernens und Wissens als Embleme von Hegemonie und Schutzräume für Ideen. Die Intensität unserer gegenwärtigen politischen Verhältnisse und die Herausforderungen unserer globalen ökonomischen Welt können nicht überbewertet werden („Übertreibe ich? Vielleicht untertreibe ich“, schreibt die Schriftstellerin Bhanu Kapil auf diesen Seiten), doch die Mittel des Protests sind reich und vielfältig. Das hier versammelte Kollektiv von Stimmen bietet zusammen mit den oft abweichenden und marginalisierten Geschichten, die sie beschreiben und auf die sie sich beziehen, eine alternative Kartografie. Wir glauben, dass sie uns dadurch die Mittel bereitstellen können, über Alternativen für unsere unhaltbare Gegenwart und unüberschaubare Zukunft nachzudenken und sie zu beschreiben. „Der Lernprozess ist etwas, das man anstiften kann, wortwörtlich anstiften, wie einen Aufstand“, schreibt Audre Lorde. Diese Hoffnung teilen wir.

Inhalt
Editorial
Quinn Latimer, Adam Szymczyk

Welcher Grund ihnen zubereitet wurde: Aufbau und Brand des Wissens
Pierre Bal-Blanc, Marina Fokidis, Quinn Latimer, Yorgos Makris, Marta Minujín

Wie ein Aufstand: Die Politik der Vergesslichkeit, den Süden umlernen, und die Insel des Dr. Moreau
Françoise Vergès

Das Staatsbordell des Restif de la Bretonne. Die Rolle von Sperma, Souveränität und Schulden bei der utopischen Konstruktion Europas im 18. Jahrhundert
Paul B. Preciado

Die Konstruktion der Ruinen des Südens: Eine Anleitung zum Umgang mit Schulden
Aristide Antonas

Incarceration
Brandon Shimoda

Die unsichtbare Sammlung. Eine Episode aus der deutschen Inflation
Stefan Zweig

Die unauslöschliche Präsenz des Gurlitt-Nachlasses:
Adam Szymczyk im Gespräch mit Alexander Alberro, Maria Eichhorn und Hans Haacke

Mare Nostrum
Miriam Cahn

I Had Nowhere to Go
Jonas Mekas

We Refugees
Hannah Arendt

Mutations and Deletions (3): For Ban
Bhanu Kapil

Volume Eleven (A Flaw in the Algorithm of Cosmopolitanism)
Naeem Mohaiemen

„Wahlen ändern nichts“. Zum Elend einer Demokratie der Gleichwertigkeit
Angela Dimitrakaki

A United Front Against the Debt
Thomas Sankara

Die Repräsentation des Elends: Courbets Bettelweib
Linda Nochlin

Zwei Gedichte
Katerina Anghelaki-Rooke

Die verwunschene Stadt
Peter Friedl

Édouard Glissants Weltmentalität. Un Monde en Relation: Eine Einführung
Manthia Diawara

Der ewige Kampf mit dem Objekt, die ewige Überschreibung der Welt
Kaelen Wilson-Goldie

Marx and Stilinović
Sven Stilinović “

Das documenta-Magazin reiht sich in die Serie der Publikationen ein, die Catherine David 1996 mit ihren documentadocuments startete, die 2007 ihre Fortsetzung in den documenta Magazinen fanden und die schließlich mit den 100 notebooks 2012 ihren großen Auftritt hatten. Ähnlich wie Carolyn Christov-Bakargiev verknüpft Adam Szymczyk Betrachtungen zum Geld, zum Kapital und zu den Schulden mit literarischen Texten, künstlerischen Anmerkungen und mit aufwühlenden Anmerkungen zu den Flüchtlingsschicksalen. Nach der Lektüre von Hanna Arendts We Refugees sieht man sich gezwungen, über die eigenen Schilderungen und Einordnungen von Flüchtlingen neu nachzudenken.
Das documenta-Magazin weist auch in die Kunst- und Armuts-Geschichte, wenn Linda Nochlin über Die Repräsentation des Elends: Courbets Bettelweib schreibt. Eindringlich und erschütternd auch der literarische Text der Künstlerin Minriam Cahn (sie war zur documenta 7 eingeladen, zog aber vor der Eröffnung ihre Arbeiten wegen schlechter Platzierung ab) über das Fliehen und ihre Familiengeschichte.
Ich werde versuchen, auf einzelne Beiträge noch einzugehen.

1. Einschub:
„Die verwunschene Stadt“ von Peter Friedl
Peter Friedl hatte zur documenta X (1997) die documenta-Halle in ein Kino verwandelt. Jedenfalls hatte er über dem Eingang, so wie es bei vielen Geschäften in den 50er- und 60er-Jahren üblich war, die Schrifttafeln KINO angebracht. Zehn Jahre später war Friedl erneut in der documenta-Halle zur documenta 12 zu Gast. Dort zeigte er die präparierte Giraffe, die in einem Zoo in Palästina gelebt hatte und sich bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu Tode stürzte.

In dem Magazin ist von Friedl ein ausführlicher Text zu lesen, in dem er sich mit dem Palazzo della Civiltà Italiana befasst. Das monumentale Bauwerk war zur für 1942 geplanten Weltausstellung in Rom gebaut worden Das von Ernesto Bruno La Padula, Giovanni Guerrini und Mario Romano entworfene, sechsstöckige Gebäude besticht durch seine 216 Arkaden. Die Reihung der Arkaden ist so angelegt, dass sich senkrecht der Name Benito und waagerecht Mussolini stehen könnte.

Wahrscheinlich war dieses ausgefallene neoklassische Bauwerk nur in der Zeit des Faschismus möglich. Man sieht es ganz unmittelbar im Zusammenhang mit den Gemälden von Giogio de Chirico. Friedl unternimmt nun eine lange und spannende Reise durch die Kunst- und Architekturgeschichte, beginnend bei der Italienischen Liebe zu den Arkadenbauten (etwa in Turin), dann fortsetzend bei den kolonialen Neugründungen der Italiener im 20. Jahrhundert, dann daran erinnernd, wie viel gewachsene Architektur in Rom der faschistischen Prunksucht weichen musste, und schließlich darauf verweisend, dass immer wieder Filmregisseure den Arkadenbau in ihren Filmen zitierten. Jetzt beginnt in dem Bau ein neues Zeitalter: Das Modelabel Fandi hat das Geböude für 15 Jahre gemietet. Das Erdgeschoss soll Ausstellungshalle bleiben.

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