Malen mit Sand, Stroh und Feuer

Restauratoren denken mit Schrecken an solche Malerei: Mal werden auf der Leinwand Farbe, Sand und Stroh vermischt, mal Papierbahnen auf die Malfläche geheftet, dann werden ganze Farbschichten mit offener Flamme abgebrannt, und schließlich kommt es vor, daß der Künstler mit dem Beil in die zentimeterdicken Schichten hineinfährt und dabei die Leinwand durchlöchert.
Anselm Kiefer, Jahrgang 1945, und spätestens seit der Biennale 1980 und der documenta 1982 eine der zentralen Figuren in der deutschen Malerei, ist in seiner Kunstauffassung ebenso sinnlich wie naturalistisch (man kann auch sagen: anarchistisch). Malerei ist für ihn ein lebensstiftender Vorgang, ist Nach- und Neuschöpfung der Welt. Und wie das Feuer in der Zerstörung zugleich den Effekt der Reinigung und des Neubeginns enthält, so vermag der Maler die alten Bilder hinwegzumalen.
„Malen gleich Verbrennen“ nannte Kiefer programmatisch ein Gemälde. Und die geflügelte Palette wurde in vielen seiner Bilder zum Symbol der (gleich dem Phönix) aus der Asche erstandenen Malerei. Wenn er von Feuer erzählt, dann überträgt er die Schilderung nicht gleich auf die künstlerisch verschlüsselte Ebene, sondern greift zum Brenner. Sein Umgang mit den Symbolen und Metaphern ist so handfest und direkt, daß der mit der veredelten Kunstsprache vertraute Betrachter sich erst wieder daran erinnern muß, daß die Dinge selbst mitteilungsfähig sind, daß märkischer Sand also nicht nur durch gut aufgetragene Farbe, sondern auch durch braunen Sand selbst vorgestellt werden kann. In dem Vertrauen auf die Ausdrucksfähigkeit der einfachen Dinge steht Kiefer seinem kurzzeitigen Lehrer, Joseph Beuys nahe.
Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt bis 5. Mai die wichtigsten Werkgruppen von Anselm Kiefer aus den letzten zehn Jahren. Die Ausstellung, die noch nach Paris und Jerusalem wandern soll, macht mit der Malerei eines Künstlers bekannt, deren sinnliche Rohheit den Betrachter ebenso herausfordert wie deren hartnäckiges Eintauchen in die Mythen und Tabus speziell der deutschen Geschichte. Kiefers meist düstere, höchstens durch Flammen- oder Blut-Rot belebte Bilder haben schon viele Mißverständnisse provoziert, die den Künstler als Neu-Teutonen erscheinen ließen.
Die repräsentative Düsseldorfer Schau hilft, diese Mißverständnisse aus der Welt zu schaffen: Wie jeder andere, der Geschichte erfahren hat, lebt Kiefer mit der Geschichte. Aus dem Dunkel der Vergangenheit tauchen die Figuren und Schauplätze, die Visionen und Schrecknisse auf. Der Künstler trägt sie in sich und befreit sich von ihnen, indem er die mythischen Räume rekonstruiert, verändert oder in völlig neue Zusammenhänge stellt. Das reicht von der christlichen Dreieinigkeit, dargestellt durch drei Flammen in einem Dachboden, über die verbrannte Erde von Pommerland (Titel: „Maikäfer flieg“) bis hin zur herrischen Nazi-Architektur, in deren Mitte allerdings der Malerei in Form der Palette ein Denkmal errichtet ist.
Kiefers Malerei klärt nicht auf, analysiert nicht, sondern beschwört, erlebt nach, macht erfahrbar. In dieser Vielschichtigkeit, in der anschaulichen Direktheit, aber auch in der Fixierung auf die leidensvollen deutschen Mythen ist er dem Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg verwandt. Im Umgang mit Kiefers tiefgründigen Bildwelten muß man sein Verhältnis zur Malerei neu bestimmen.
HNA 30.3. 1984

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