Der Schweizer Harald Naegeli mußte eine Freiheitsstrafe absitzen, weil er mit der Sprühdose Zeichnungen auf Hauswände in Zürich gebannt hatte. In New York gibt es Dutzende von Naegelis, die Fassaden, Tunnel und U-Bahnwagen mit Parolen und immer farbiger werdenden Bildern überzogen haben. Die durch New Yorks Unterwelt rollenden Bilderzüge sind zur Touristen-Attraktion geworden; und die Schöpfer der Bilder, einst illegale Vorboten einer Subkultur, sind ins Punktstrahlerlicht der Galerien und Museen geholt worden: Graffiti als modische Kunstrichtung. Ohne Biß Im Sog des großen Geschäfts wurde nun die Graffiti-Welle auf den Kölner Kunstmarkt („Art Cologne“) gespült. Der gefräßige Markt nimmt dabei dieser spontanen, frechen Straßenmalerei aus der Sprühdose jeglichen Biß.
Graffiti-Motive, auf rechteckige Tafeln, Leinwände oder Planen übertragen, werden zur dekorativ-bunten Tafelmalerei, die auch schon ihren Preis hat: 11000 Dollar (33 000 Mark) muß man für ein Bild von Keith Haring zahlen, der bereits auf der documenta 7 mit seinen leuchtend bunten Strichmännchen-Kompositionen‘ vertreten war. Die Arbeiten der Graffiti-Künstler verankern sich deshalb so stark im Bewußtsein, weil sie,einerseits an einzelnen Ständen amerikanischer wie auch deutscher Galeristen anzutreffen sind und weil sie zum anderen das Zentrum der Sonderschau „Szene New York“ bilden.
Diese museale Ausstellung innerhalb des Marktes hat die Stadt Köln mit einem Zuschuß von 250 000 Mark ermöglicht sozusagen als Dankeschön für die Entscheidung der Galeristen, den Kunstmarkt auf Dauer nur in Köln zu veranstalten. Die Finanzierung des Sonderkatalogs zu dieser Schau (96 S., acht Mark) hat American Express übernommen. Die „Szene-New York“ mit ihren rund 70 Bildern und Skulpturen vermittelt keine neuen Einsichten, weil erst in jüngster Zeit Wanderausstellungen („New York Now“ und „Back to the USA“) die aktuelle Situation beschrieben haben. Vielleicht war die Sonderschau aber auch ein Lockmittel für amerikanische Galerien, die erstmals wieder in Köln dabei sind. Doppelcharakter Auf jeden Fall ist durch dieses Zusatzangebot der Doppelcharakter der Veranstaltung Markt und Ausstellung zugleich zu sein – verstärkt worden.
Denn in einer anderen Sonderschau, ebenfalls von der Stadt bezuschußt, stellt das Kunstmuseum Bern die Schwerpunkte seiner Sammlung vor: darunter 28 Bilder von Paul Klee, Gemälde von Picasso und Dali sowie sieben Fragmente aus Ferdinand Hodlers Monumentalgemälde „Aufstieg und Absturz“.
Einen dritten Sonderbereich bilden die 23 Kojen, in denen Werke von Nachwuchskünstlern gezeigt werden. Dör Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt finanzieren die Standmiete dafür. Viel verlokkendes Ausstellungsbeiwerk also, um den Kunstmarkt attraktiv zu machen. Farbige Skulpturen Versteht man den Kunstmarkt als Barometer für künstlerische Tendenzen, dann wächst weiterhin das Interesse an der (farbigen) Skulptur: Im Förderprogramm für junge Künstler „überwiegen nicht nur eindeutig die plastischen Arbeiten, sondern von ihnen gehen auch die stärksten Impulse aus – Christian Hasuchas erzählerische Installationen, Jockei Heenes‘ Raumzeichen, Wasa Marjanovs verträumt-spielerische Architektur, Ingrid Roschecks eindringliche Stelen oder Michael Rutkowskys witzig-funktionale Holzbauten. Aber auch ältere Künstler überraschen mit faszinierenden plastischen Arbeiten. So präsentiert die Galerie Denise Rene / Hans Mayer die 30 Jahre alte Examensarbeit von Heinz Mack, eine bronzefarbene Holzskulptur („Eva“, 80 000 Mark), in der Baum und Mensch zu einer Form verschmelzen. Aus jüngster Zeit stammen hingegen die bemalten Holz- und Metallskulpturen von Allen Jones (Galerie Wenzel, bis 60 000 Mark), dessen fliegende Bild-Fi
guren auf eleganteste Weise als Tanzende in den Raum gestellt werden. Im Spannungsfeld von klassischer Moderne und aktueller Kunst hat der zeitgenössische Teil in diesem Jahr eher das Übergewicht, wobei die expressive Malerei in allen ihren Schattierungen im Vordergrund steht. Mit Interesse registriert man, daß jetzt neben den Marktführern wie Penck, Baselitz, Hödicke und Salome, für deren Bilder zwischen 30 000 und 150 000 Mark verlangt werden, auch Maler, die in den Schatten geraten waren, in den Vordergrund gerückt werden: Norbert Tadeusz beispielsweise oder ältere wie Fred Thieler und Fritz Winter. Wie so oft hat im Bereich der klassischen Moderne die Galerie Gmurzynska den Vogel abgeschossen: Sie stellt ein riesi-“ ges Wandbild (3,70 x 10,50 Meter) von Fernand Leger aus, das für 850 000 Dollar (2,5 Millionen Mark) zu haben ist.
Auch dafür wird es Kunden geben. Geld für Kunstkäufe, so scheint es, ist da, wenn auch, nicht unbedingt in den Museen. Für die Galeristen jedenfalls, so erklärte Rudolf Zwirner, ist die Situation so günstig wie lange nicht. Überhaupt scheint das Interesse an Kunst zu wachsen. Die Gründung mehrerer neuer Kunstzeitschriften ist ein Beweis dafür.
HNA 16. 11. 1984