Kunst, die untergeht

Skulpturenboulevard in Berlin

Ein Bummel auf dem Boulevard. Das klingt nach Hauptstadt, nach Metropole. Und da denkt man, wenn man von Berlin spricht, an den Kurfürstendamm. Auf dem Ku’damm flanieren die Besucher, um zu sehen und gesehen zu werden, hier sind sie, nach allem Touristenverständnis richtig in Berlin. Hier am Kurfürstendamm, unweit der Gedächtniskirche, sitzt für viele das Herz der Weltstadt, hier versammelte sich die Jugend zum Protest, hier prallten Demonstranten und Polizisten oftmals aufeinander, und hier, wo sich das elegante Berlin besonders offenherzig gibt, kam es wiederholt zu Ausbrüchen der Gewalt.
Eine solche Explosion der Gewalt ereignete sich am 13. 4. 81, als fälschlich der Tod eines hungerstreikenden Terroristen gemeldet worden war. Hunderte Schaufenster gingen zu Bruch, die Polizei war überrascht von dem Ausmaß und der Härte der Gewalt.
Als der Künstler Olaf Metzel eingeladen wurde, zum großen Berlin-Jubiläum einen Beitrag für den Skulpturenboulevard am Kurfürstendamm zu schaffen, da erinnerte er sich des 13. April 1981 und entschied sich, einen elf Meter hohen Turm aus Polizei-Absperrgittern, Pflastersteinen und Einkaufswagen zu bauen. Die drei Komponenten jener Nacht (Polizei, Gewalttäter und Geschäftswelt)sollten in diesem Beitrag zusammentreffen.
Metzel traf mit dieser Arbeit den Nerv der Berliner. In der Stunde der Festtagsfreude erinnerte er an die dunklen Seiten, an die unaufgehobenen Gegensätze dieser Stadt, an die Ungereimtheiten und das schlafende Gewaltpotential. Und indem dieses keineswegs schöne, eher ungestalt wirkende Mahnmal gegenüber vom Cafe Kranzler aufgestellt wurde, war es für viele ein Ärgernis. Der Besucher, der nun an den ersten Maitagen die Skulptur auf sich wirken lassen und die Kraft ihrer Sprache prüfen will, weicht irritiert zurück, denn die Ereignisse haben die Kunst eingeholt. Der überraschende Ausbruch von Gewalt in Kreuzberg hat Folgen bis hin zum Kurfürstendamm: Polizisten in Kampfanzügen und mit Helmen an allen Straßenabschnitten und überall die vergitterten Einsatzwagen der Polizei. Gegenüber diesem bedrohlichen Aufmarsch wirkt Metzeis Turm harmlos.
Die Wirklichkeit läßt die Kunst untergehen. Wer will da noch etwas von Skulpturenboulevard hören und sehen? Dabei ist das Konzept dieses Kunstunternehmens, das in Berlin so hitzig diskutiert worden ist, gar nicht so aufregend. Das fängt damit an, daß die sieben Projekte auf die ganze Länge des Kudamms verteilt sind und damit nur zum Teil wahrgenommen werden. Darüber hinaus liegt die Attraktion einiger Arbeiten lediglich in ihrer Größe. Die Rückkehr der Gewalt in das aufs Feiern bedachte Berlin verdirbt im Moment die Freude an der reinen Form. Da spricht dann doch eher die kritische Plastik an – wie Wolf Vostells „Beton Cadillacs“, eine massive Betonskulptur auf dem Rondell des Rathenau-Platzes: Umschlossen vom fließenden Verkehrs sind da zwei Sinnbilder des amerikanisierten Verkehrsrausches in eine ans Luftbrückendenkmal erinnernde Form eingelassen.

HNA 6. 5. 1987

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