Was ist von eigener Hand?

„Der 26jährige Rembrandt malte 1632 den „Greis mit goldener Kette“, Falte für Falte ist das Gesicht abgetastet, das Distanzierte, nachdenklich Melancholische…Mit dem Pinselende hat Rembrandt die Schatten des Haares eingeritzt.“ Mit diesen Worten leitete vor fünf Jahren die Zeitschrift „museum“ einen Bildtext ein, mit dem sie für ihr Heft über die Gemäldegalerie Alte Meister in Schloß Wilhelmshöhe (Kassel) warb. Die Beschreibung der eigenwilligen Malerei ist korrekt. Mehr noch: die Experten halten das Bild sogar für außergewöhnlich gut gemalt, doch von Rembrandt ist es ihrer Meinung nicht. Vielmehr wird es heute als gute Nachahmung eingeschätzt. Dutzende von Gemälden, die in den großen Galerien der Welt hängen, haben in den letzten Jahren ein ähnliches Schicksal erlitten: Sie mußten den Anspruch, echte Rembrandts zu sein, aufgeben. Neue, intensive Bildvergleiche und naturwissenschaftliche Forschungsmethoden haben die Wissenschaftler in die Lage versetzt, Rembrandts Gesamtwerk zu reinigen. Für einige Museen ist dieser Prozeß mit schmerzlichen Verlusten verbunden.
Vor vier Jahren schlug die Nachricht wie eine Bombe ein: 51 von 93 Gemälden aus dem Frühwerk Rembrandts wurden als Schüler-Arbeiten, Kopien, Nachahmungen oder eigenständige Werke anderer Maler eingestuft. Die fünf Wissenschaftler, die gemeinsam seit 1967 das Rembrandt Research Projekt (Forschungsprojekt) betreiben, können ihre Behauptungen fundiert belegen: Sie haben alle zugänglichen Rembrandt-Bilder in Augenschein genommen, sie haben die Malschichten mit Röntgengeräten durchleuchtet, haben Signaturen und Leinwände geprüft,“ auch das Alter der Holztafeln bestimmt, und sie haben eine Chronologie der malerischen Entwicklung von Rembrandt angelegt. Ihre Ergebnisse legen sie in dickleibigen Fachpublikationen („A Corpus of Rembrandt Paintings“) vor. In diesem Herbst ist der zweite Band für Rembrandt Schaffenszeitraum von 1631 bis 1634 erschienen.
Bei den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel, zu deren stolzem Besitz Spitzenwerke von Dürer, van Dyck, Rubens und Rembrandt zählen hat man, bereits die Konsequenzen aus den Erkenntnissen gezogen. Vier Bilder, die in der jüngsten Vergangenheit noch als Rembrandt-Werke galten, werden nun als Bilder aus dem Umkreis des Meisters beziehungsweise als Kopien bezeichnet: „Das Selbstbildnis in jungen Jahren“ (Kopie), „Büste eines Mannes mit Kappe“ (Umkreis), „Studie eines Kahlköpfigen“ (Umkreis) und „Greis mit Brustkreuz“ (Nachfolger). Bernhard Schnackenburg, der Leiter der Gemäldegalerie in Kassel, weiß, daß damit der Reinigungsprozeß nicht abgeschlossen ist. „Das Selbstbildnis“ von 1654 wird sicher auch Rembrandt als Urheber verlieren: Es ist nach Ansicht der Experten nicht so kraftvoll gemalt; außerdem haben die Röntgenstrahlen unter dem Porträt ein anderes Bild entdeckt. Gleichfalls schließt er sich den Einwänden gegen das Gemälde „Greis mit goldener Kette“ an. Doch, auch wenn dieses Bild nicht mehr als Rembrandt ausgegeben wird, bleibt es ein großartiges Werk. Nicht einverstanden ist Schnackenburg allerdings mit der Abschreibung des „Selbstbildnisses als Krieger“, die Christian Tümpel in seinem gerade vorgelegten Band „Rembrandt Mythos und Methode“ (siehe nebenstehende Besprechung) vornimmt. Dieses achteckige Bild stuft auch die fünfköpfige Forschergruppe als ein authentisches Bild (etwa aus dem Jahre 1634) ein. Vor allem der Kopf und Helm können danach als eigenhändige Schöpfungen Rembrandts angesehen werden. Für Schnackenburg ist in diesem Zusammenhang wichtig, daß in der Helmdarstellung das Licht die Materie überspielt und damit auch überzeugender ist als der Berliner „Mann mit dem Goldhelm“, der nicht mehr als Rembrandt gilt.
Dennoch sind sich die Kunsthistoriker einig, daß das „Selbstbildnis als Krieger“ nicht so überliefert ist, wie es Rembrandt geschaffen hat. Allem Anschein nach war das Porträt mit einem gemalten ovalen Rahmen eingefaßt worden. Der Mantel ist mit Sicherheit später hinzu gemalt worden. Auf der rechten Seite erkennt sogar der Laie mit bloßem Auge, wie schlecht der Mantelansatz auf die Bildfläche gesetzt ist. Offensichtlich ist man im 17. und 18. Jahrhundert sehr viel bedenkenloser mit den Bildern selbst umgegangen und hat keine Scheu gehabt, Partien zu übermalen. Dazu paßt, daß man es mit den Zuschreibungen nicht so genau nahm. Da Rembrandt selbst kein Werkverzeichnis angelegt hat, wurde bis ins 19. Jahrhundert Rembrandt alles zugeschlagen, was nur dem Anschein nach von ihm hätte sein können. Indem nun die Kopien, Nachahmungen und Schülerarbeiten ausgesondert werden, erhöht sich eigentlich nur die Strahlkraft des Malers. Vor hundert Jahren noch glaubte man in Kassel, 29 RembrandtGemälde zu besitzen. Heute kann man von zehn sicheren Bildern aussehen. Das Leben und das Wirken des Holländers Rembrandt Harmensz van Rijn (1606 – 1669) sind nicht in allen Einzelheiten zu rekonstruktieren. Die besten Informationen hat man über seinen finanziellen Zusammenbruch, der 1657 mit der Versteigerung seiner umfangreichen Kunst- und Kuriositätensammlung begann. Das dafür angelegte Inventar dokumentiert, wie intensiv Rembrandt sich auch mit der Kunst anderer auseinandersetzte. Die Frage jedoch, wie umfangreich Rembrandts eigenhändiges Werk wirklich war, ist damit nicht beantwortet.
Aufgrund der bisherigen Literatur und der vorgelegten Ergebnisse des Rembrandt Research Projekts kann man von rund 360 überlieferten Originalen ausgehen. Tümpel ist in seinem Buch weit radikaler und nach Schnackenburgs Meinung „päpstlicher als der Papst“: Er meint Rembrandt habe ein Gesamtwerk von 400 Gemälden geschaffen, von denen jedoch viele verloren gegangen sein. Heute seien dem großen Holländer nur noch 265 überlieferte Gemälde zuzuordnen; auch die Hälfte der Zeichnungen sei abzuschreiben. Die Schwäche von Tümpels Argumentation liegt für Schnackenburg darin, daß dieser wichtige Rembrandt-Kenner sich selbst nur auf Literatur gestützt habe und nicht auf dem jüngsten Stand der Forschung sei. Beispielsweise datiere Tümpel Kassels berühmtes „Saskia“-Bild auf 1634, dabei sei seit langem bekannt, daß Rembrandt dieses Werk zwar 1634 begonnen, aber erst 1642 vollendet habe. Die prachtvolle Darstellung von Pelz und Samt passe nicht in die frühe Zeit.

Tümpels anspruchsvoller Rembrandt-Band – Abschied von Legenden
Wer einmal die Schönheit des Rembrandtschen Werkes in einem Band zur Hand haben will, der wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. In ihm sind sämtliche 265 Gemälde, die Tümpel für eigenhändige Rembrandt-Werke hält, sowie weitere rund 100 Bilder aus dem Umkreis und der Nachfolge des Holländers farbig (in hochwertiger Qualität) abgebildet. Fast ebenso wichtig ist, daß Tümpel den Maler von vielen Legenden befreit. Tümpel spürt die anderen Künstler auf, die für Rembrandt Vorbilder und Anreger waren. So habe der junge Rembrandt nicht nur von seinem Lehrer Pieter Lastmann profitiert, sondern auch von Gerrit van Honthorst, der durch seine Nachtdarstellungen und das sanfte Licht seiner Bilder damals berühmt gewesen sei.
Die Stärke Tümpels liegt in der Interpretation der Gemälde. Der Rembrandt-Experte, der auch ausgebildeter Theologe ist, ordnet die Bilder zu Themengruppen und deutet auf diese Weise – parallel zum Lebensweg des Künstlers – die Werke als Teile einer Entwicklungsgeschichte. Tümpel weist dabei nach, daß Rembrandts Schaffen von den konfessionellen Konflikten unberührt blieb. Das lebendig geschriebene Buch macht den geistigen Horizont, aus dem vieles geschöpft ist, sichtbar. Ausgerechnet in dem Punkt aber, in dem Tümpel am forschesten vorgeht, enttäuscht der Band am meisten; Die Reduzierung des Remhrandt-Werkes von 630 (so der Stand im Jahre 1935) über 350 (bei Gerson, 1969) auf nun 265 begründet Tümpel nur im kritischen Katalog-Anhang. Der eigentliche Text liefert dazu kaum Argumente. Dazu kommt, daß Tümpel nicht überall auf dem jüngsten Stand der Forschung ist. Und endlich leidet der Band unter einigen Fehlern‘ So sind mal Bildtexte vertauscht; außerdem ist das begrüßenswerte Konzept, Bilder, die nicht mehr als Werke Rembrandts gelten können, grau zu umranden, nicht konsequent durchgehalten worden. Tümpels Radikalreinigung kann nicht überzeugen.
Christian Tümpel: Rembrandt – Mythos und Methode, Verlag Langewiesche, Königstein, 456 S., 450 Abbildungen, davon 350 farbig, 198 DM (bis 31.12.), dann 240 DM.

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