Der schmachtende Himmelsblick

„Guido Reni und Europa“

Der Kopf leicht seitlich nach hinten geneigt, die Augen mal verzückt, mal flehentlich gen Himmel gewandt; ob suchend, ob klagend oder schmachtend der Himmelsblick triumphierte in den Heiligenbildchen des 19. Jahrhunderts. In jener Zeit verkam endgültig zum Kitsch, was zwei Jahrhunderte zuvor als große Kunst den Siegeszug durch das westliche Europa angetreten hatte. Der Kitsch, den die Nachahmer der sechsten und siebten Generation produzierten, hatte zur Folge, daß auch der Ruf. dessen verkam, der im 17. Jahrhundert das große Vorbild dafür geliefert hatte: Der italienische Maler Guido Reni (1575 – 1642), der in Bologna und Rom wirkte und einer der begehrtesten Künstler seiner Zeit war. Nun wird dieser Maler wiederentdeckt und rehabilitiert. Eine von Bologna ausgehende Reni-Ausstellung hat Frankfurt erreicht und wird dort mit barocker Pracht präsentiert: In die langgezogene, postmoderne Kunsthalle Schirn wurde eine Ausstellungsarchitektur eingebaut, die eine alt-ehrwürdige Galerie vortäuscht. Die 42 Ölgemälde, 65 Zeichnungen und 48 Grafiken Renis wurden noch einmal um 84 Gemälde anderer Künstler aus Europa ergänzt, die den Nachruhm des Italieners bis in das 18. Jahrhundert illustrieren sollen. Und der opulente Katalog („Guido Reni und Europa“, 824 S„ 59 DM) dokumentiert auf Dauer mit informativen Texten und hervorragenden Bildtafeln, welche Bedeutung dem einstigen Malerfürsten zugemessen wird. Die Ausstellung hat große Verdienste: Sie zeigt, daß Renis Abwertung im 19. und 20. Jahrhundert nicht immer gerechtfertigt war; sie macht für uns erstmals die ungeheure Ausstrahlung dieses Künstlers sichtbar; und sie verhilft dazu, die malerischen Qualitäten dieses Künstlers kennenzulernen – seine Konzentration auf die wesentlichen Hauptfiguren, seine Vorliebe für große leuchtende Farbflächen und seine späte Kunst, die Körper transparent zu malen. Die Kopplung der ReniAusstellung mit den Bildern seiner Nachfolger bereichert aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Am Ende kann man die Himmelsblicke nicht mehr ertragen.
In dem Katalog fehlt ein Beitrag, der sich ausführlicher mit dem Verhältnis von Reni zu den Frauen beschäftigt. Dem Maler werden nämlich große Berührungsängste gegenüber Frauen nachgesagt. Umso überraschender (oder typischer) ist, daß jene Frauengestalten zu seinen Lieblingsmotiven wurden, die als Büßerinnen oder Schuldige in die Geschichte eingingen: Cleopatra, die eine Schlange an ihre nackte Brust führt, Lucretia, die den Dolch gegen ihren nackten Busen richtet, und die halbnackte Büßerin Magdalena wurden von Reni immer wieder gemalt.
Der Künstler verklärte seine Sinnenfreude, er band die Lust ins Leiden ein. Er idealisierte und heroisierte die Figuren und förderte damit im Barock eine klassizistische Schule. Die großen satten Farbflächen, die mit den weißen, zerbrechlichen Körpern kontrastieren, geben Renis Gemälden bis heute ihre Faszination. In Frankfurt wird darüber hinaus sichtbar, daß Reni seine Szenen und Gestalten häufig aus dunklen Bildräumen herausleuchten ließ. Er bevorzugte oftmals unbestimmte, fast abstrakte Hintergründe. In seinem späten Kreuzigungsbild scheint der helle Körper von Christus in einer düsteren, wolkengeschwärzten Mondlandschaft zu erstrahlen.
Der Einfluß Renis reichte weit über sein Land und seine Zeit hinaus. Nicht alle Maler, so belegt diese Ausstellung, die den italienischen Meister bewunderten, erzielten nur annähernd vergleichbare Ergebnisse. An den Bildern einzelner Nachfolger wird deutlich, auf welch dünnem Seil sich Reni mit seinen Bildmotiven der JenseitsOrientierung bewegte. Andererseits sieht man hier auch faszinierende Kompositionen. Dazu gehört etwa das Gemälde „Sibylle“, das Anton Raphael Mengs um 1760 in warmen Farben schuf: Das Bild einer in sich ruhenden Frau, die den Betrachter anblickt und die vor einer fast abstrakten Landschaft zu sehen ist. Oder Angelika Kauffmanns fast romantische Szene „Amor trocknet Psyches Tränen“ (um 1792). Die Ausstellung wird, ob gewollt oder nicht, zu einer Schule des Geschmacks. Der Beifall muß und kann am Ende nicht alle Beiträge einschließen. In ungeteilter Bewunderung können sich die Besucher aber in der Abteilung mit den Zeichnungen und Grafiken Renis wieder zusammenfinden. Für den Maler waren die Zeichnungen immer nur Studienmaterial, mit dem er willkürlich umging. So blieb nicht viel erhalten. Was hier aber zu sehen ist, weist ihn als großen Könner, dynamischen Porträtkünstler und kraftvollen Realisten aus.

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