Die Lust und das Grauen

Otto Dix im neuen Licht?

Drastisch wie kein zweiter hat Otto Dix in seinen Bildern das Grauen des Krieges beschworen – die bestialische Gewalt, das blutige Sterben der Soldaten und die Schreckenskammer der Verwesung. Auch deshalb wurde Otto Dix (1891 – 1969) von den Nationalsozialisten aus dem Kunstleben verbannt, nachdem ein Teil der Öffentlichkeit ihn als Sozialkritiker und Pazifisten vereinnahmt hatte.
In einem überraschend kämpferischen Buch geht Otto Conzelmann („Der andere Dix“, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 272 S., 359 Abb., 128 DM) gegen diese Abstempelung des Malers vor: Dix sei weder politisch engagiert noch sozialkritisch orientiert gewesen. Seine Bilder von der Lust (Akte und Bordellszenen) und vom Grauen des Krieges seien aus ein- und demselben Maltrieb entstanden aus der Faszination an den gewaltigen Kräften, die das Leben freisetzt, auch wenn sie das Leiden und den Tod einschließen.
Zum Beleg für seine Argumentation breitet Conzelmann eine Fülle von Dokumenten aus: Äußerungen des Künstlers, Skizzen und Werke als Zeugen für Dix‘ sinnliche Lust an der Realität und am Bild und ausführliche Hinweise auf die intensive Auseinandersetzung des Malers mit Nietzsche. Der Autor vermag zu überzeugen. Doch zuweilen wird Conzelmann Opfer seines eigenen Kampfes, wenn er immer wieder gegen die „linken“ Interpreten vom Leder zieht oder wenn er die Surrealisten Dali, Ernst und Magritte niedermacht.
Dabei hat dieser Band große Verdienste: Er beleuchtet mit faszinierender Ausführlichkeit das Menschenbild von Dix (insbesondere die Selbstbildnisse) sowie seine um den Krieg kreisenden Zeichnungen, Radierungen und Gemälde. Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Radierzyklus „Der Krieg“, der Dix als einen Goya des 20. Jahrhunderts erscheinen läßt, macht das Buch wertvoll.

Conzelmanns Buch ist auch mit Unterstützung der Stuttgarter Galerie Valentin erschienen, die ihrerseits im Zeichen des wachsenden Interesses an Dix Werke aus dem Nachlaß zusammengestellt und in einem Katalog (42 S., 20 DM) dokumentiert hat. Darunter befindet sich das großartige Gemälde „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ (1937), die Dix als einen Nachfolger des Hieronymus Bosch erscheinen läßt. Der Angriff von Conzelmann gegen das von der Kritik geschaffene „Zerrbild“ von Dix zielt aber ein wenig ins Leere, wenn man bedenkt, daß zwei jüngst erschienene Biographien bereits den „anderen“, unpolitischen Dix zeigen. Da ist etwa Lothar Fischers „Otto Dix – Ein Malerleben in Deutschland“ (Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, 160 S., 86 Abb., 48 DM), in dem sehr lebendig, anschaulich und sachlich die einzelnen Lebens- und Werkabschnitte des Künstlers nachgezeichnet werden. Die Abbildungen illustrieren das Künstlerleben und nicht das Werk.
Eine vollständige Bestandsaufnahme des malerischen Werkes (alle bekannt gewordenen Gemälde werden in Abbildungen dokumentiert) enthält hingegen der Band „Otto Dix“ von Fritz Löffler (Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen, 330 S., 88 Tafeln, 825 Abb., 160 DM). Dieses Buch gibt erschöpfend Auskunft über die Entwicklung eines Malers, der die Extreme des Lebens in geradezu altmeisterlicher Manier in seinen Kompositionen beschworen hat.
Löffler, langjähriger Freund von Dix, erweist sich in seiner vorangeschickten Biographie als ein genauer Kenner der Werkzusammenhänge und als ein sachlicher Berichterstatter. Auch bei Löffler wird klar, daß Dix immer nur Maler war, ein leidenschaftlicher und sinnlicher Künstler, der die Kunst im Sinne hatte und nicht die politische Dimension. Daß Dix‘ Kriegs- und Krüppelbilder dennoch politisch wirken, steht auf einem anderen Blatt.

29. 10. 1983

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