Ausstellung „In erster Linie…“ in der Kunsthalle Fridericianum präsentiert 21 Künstlerinnen
Zu den Eigenartigkeiten im Kunstbetrieb gehört, dass einzelne Spielarten und Techniken regelmäßig wiederentdeckt werden müssen, weil sie zwischendurch keine Beachtung gefunden haben. Dem Medium Zeichnung geht es so. Obwohl nicht nur Maler, Bildhauer und andere beständig die Zeichnung pflegen und es einzelne Künstler gibt, die sich ausschließlich der Zeichnung verschrieben haben, wird die Kunst des Zeichnens nur selten thematisiert. Deshalb ist die Ausstellung „In erster Linie…“ in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum notwendig und verdienstvoll.
Sie dokumentiert, wie lebendig und kraftvoll dieses Medium ist, und sie bekräftigt die Erfahrung, dass die Zeichnung bis in den Raum expandieren kann. Die Ausstellung wurde von Barbara Heinrich zusammengestellt. Bei ihren Erkundigungen in der Kunstszene bemerkte sie, dass sich in überwiegender Zahl Künstlerinnen der Zeichnung widmen. Darin liegt der Grund, dass sie ausschließlich Künstlerinnen auswählte – 21 an der Zahl. Auf dem Umweg über die Fotografie hat die gegenständliche und erzählende Kunst wieder an Kraft und Breite gewonnen. Auch in dieser Übersicht dominieren die erzählenden Arbeiten.
Dabei fasziniert ein manieristischer Zug zum kleinen und gar winzigen Format. Meisterhaft (und voll von hintergründigem Witz) sind die Blätter von Sandra Boeschenstein. Auf kleinstem Raum zeichnet sie mit äußerster Präzision Figuren, Maschinen oder irreale Räume. Diese Miniaturen wuchern und springen manchmal auf die Wand über. Oft erinnern sie an technische oder wissenschaftliche Zeichnungen. Doppelbödig und hintersinnig werden die Zeichnungen durch die beigegebenen Fragen und Pseudo-Erklärungen. Ähnlich verblüffend im kleinen Format arbeitet Gabriele Jerke. In der Zeichnung ist wieder alles möglich und erlaubt. Maria Kontis‘ ordentlich gerahmte Arbeiten wirken wie Fotografien. In Wahrheit handelt es sich um hyperrealistische Zeichnungen, die die gleiche Dichte wie Fotos erreichen.
Jenny Scobel hingegen bewegt sich am Rande der Malerei, wenn sie im Gemäldeformat Frauen porträtiert. Diese Porträts wirken fremd und vertraut zugleich, weil die Künstlerin als Vorlage für ihre Kompositionen in Illustrierten sucht. Eine eigene, manchmal bedrückende Welt schafft Bea Emsbach mit ihren Bildern, die sie mit roter Tinte gestaltet. Ihre figürlichen Zeichnungen pendeln zwischen Antike und Gegenwart, erzählen von Metamorphosen und stellen die Menschen in beklemmenden Befangenheiten dar. Innerhalb der Rotunde hat die Künstlerin einen Sonderplatz erhalten, weil sie die jüngste Trägerin des Maria-SibyllaMerian-Preises ist. Zeichnerisches lässt sich aber auch auf ganz andere Weise entdecken: Pip Culbert etwa skelettiert Hemden oder Zelte und lässt die Nahtlinien die Umrisse darstellen. Heike Weber dagegen lässt über die
Wände einer Ausstellungskoje mithilfe von Nadeln und Wäscheleinen ein 40 Meter langes Bergpanorama entstehen. Eine Ausstellung, die zum Entdecken einlädt.
8. 10. 2004